"Magic Life" von Bilderbuch:"Bilderbuch" retten den Pop aus der deutschen Konsonantenhölle

Bilderbuch - Magic Life

Der Stil: zart-schmierig, die Stimmung: angespannt-melancholisch. Bilderbuch und ihr Kopf Maurice Ernst (links).

(Foto: PR)

Babyleihmideinladdah! Mit ihrem neuen Album "Magic Life" gelingt der Wiener Band die beste Musik zur Zeit.

Albumkritik von Jens-Christian Rabe

Das neue Album "Magic Life" der Wiener Indie-Pop-Band Bilderbuch ist, doch, doch, mindestens ein mittelgroßes Wunder, noch viel besser als der grandiose Vorgänger "Schick Schock", und selbstverständlich besser als fast alles andere, was gerade so an deutschsprachigem Pop veröffentlich wird.

Man muss das so unfein deutlich sagen, weil ja zum Beispiel die deutschen Album-Charts gerade wieder voll sind mit ungelenkem deutschen Rap und bizarrem teutonischen Bierzelt-Schlager, mit Musik also, bei der man sich nach den ersten vier Takten schon eine solide Alltagsdepression eingefangen hat. Über sechzig Jahre englischsprachiger Pop können offenbar wirklich so gut wie spurlos an der Pop-Produktion eines Land vorübergehen. Wenigstens an der unseres kleinen Humptatalandes.

Aber jetzt das, meine Güte, "Magic Life". Man höre nur den Song "Bungalow". Instrumental ist es schon ein famos angestotterter R'n'B-Pop-Funk-Schieber, in dem eine Elektro-Orgel tremoliert und eine Synth-Gitarre herumschnickselt. Große easy Pop-Eklektik, zu der man hervorragend in einen Samstagabend hineinwackeln kann. Oder aus einem Sonntagnachmittag heraus. Oder durch einen modrigen Montag hindurch. Und Bandkopf und Sänger Maurice Ernst schießt dann noch den Vogel ab. Er bringt es nämlich wirklich fertig, das Deutsche wie eine Popsprache klingen zu lassen.

Einen deutschen Satz kann man nicht durch ein paar funky Takte hindurchrollen

Wenn sich amerikanische Late-Night-Hosts über Deutschland lustig machen, sprechen sie gern ein abgehaktes Fantasie-Deutsch, im Befehlston eines zornigen Offiziers. Conan O'Brien ist sehr gut darin. Für Amerikaner oder Franzosen klingt das Hochdeutsche bizarr zackig, stakkatohaft. Und das ist es ja auch. Im Vergleich zum Englischen und Französischen wird es deutlich weniger gesungen, die einzelnen Worte gehen nicht fließend ineinander über, sondern werden mit kurzen Pausen deutlich voneinander getrennt. Dazu kommt die deutsche Liebe zu harten Konsonanten aller Art, die nicht abgeschliffen werden, sondern präzise betont. Insbesondere im Pop ist das ein echtes Problem.

Ein deutscher Satz biegt sich einfach nicht von selbst um den Beat. Einen deutschen Satz kann man nicht durch ein paar funky Takte hindurchrollen. Einfach so rollt da nämlich gar nichts. Man nehme probeweise die Zeilen: "Du rufst mich an und fragst mich, wie's mir geht." Oder: "Ich brauch mehr Power für meinen Akku." Konsonantenhölle. Rufst. Fragst. Geht. Akku. Akku!

Aber genau das sind Zeilen aus "Bungalow". Und die Schlaumeier rufen: Ja, ja, na ja, der Sänger ist doch auch ein Österreicher, logo biegt der das mit seinem Dialekt um alle Ecken. Aber wenn ein Dialekt schon das Geheimnis wäre, dann wären Bilderbuch nicht so allein und Urbayern machten reihenweise exzellentesten Pop und Hip-Hop. Ist aber nicht so. Weil zwar richtig ist, dass Dialekte dem Deutschen manche Ecken und Kanten abschleifen, sie bleiben aber eben auch das: Dialekte. Provinz. Mundart.

Mundart ist jedoch das Gegenteil von großem Pop. Es funktioniert ja eher umgekehrt. Im englischsprachigen Pop klingt ein Sänger wie Fran Healy von der Indie-Pop-Band Travis, der wegen seines heftigen schottischen Akzents in Interviews nicht leicht zu verstehen ist, überhaupt nicht besonders schottisch. Oder U2 besonders irisch. Oder die Rolling Stones besonders britisch.

Und was ist mit dem Wiener Schmäh? Und dem alten Falco- und Udo-Lindenberg-Trick, dem Deutschen an kritischen Stellen einfach ein bisschen Englisch unterzujubeln, easy, ready, "'cause er hatte Flair"? Es hilft, wenn man mit beidem zu spielen versteht. Und Maurice Ernst weiß, wie das geht. Aber der Schmäh und die Wiener Sprachfärbung sind bei ihm dezenter, weniger selbstgewiss verschwenderisch-maskulin als bei Falco, und er verlabert seine Zeilen auch nicht so naturbreit wie Udo Lindenberg.

Kein versteifter Art-Pop, sondern die beste Musik zur Zeit

Maurice Ernst ist dafür wirklich funky. "Ich brauch mehr Power für meinen Akku" oder die noch einen Tick fantastischere Zeile "Baby, leih mir deinen Lader" serviert er, außenrum verziert mit "Ahs" und "Uhs", wie ein versierter Michael-Jackson-Imitator, der zu klug und zu bescheiden ist, um es zu übertreiben, aber doch bekifft genug, um einen Heidenspaß dabei zu haben: "Babyleihmideinladdah!" Perfekt.

Der verspielte Dadaismus und der zart schmierige Slacker-Stil der Band - es werden weiße Latzhosen, blondierte Haare und übergroße Mäntel zu Goldkettchen und Brusthaar getragen - ist dabei nicht bloß ironisches Rollenspiel. Die Grundstimmung ist eher angespannt-melancholisch, was das Album auf cleverste Art erwachsen und vielschichtig klingen lässt. Dabei wird's nie steif-verkopfter Art-Pop, man bleibt immer locker in den Knien. Oder wie es in "Investment 7" heißt: "Der Prosecco prickelt sich / durch den Verstand / Und nimmt meine Hand."

Diese Platte, die einem immer noch einen neuen guten Song zwischen die Ohren zaubert, ist die beste Musik zurzeit. Gratis-Nostalgie gibt's bei Wiener Nachbarn wie Voodoo Jürgens oder Wanda. Bilderbuch schaukeln einem mit dem Autotune-Robo-Flattern, dem Lieblings-Stimm-Effekt des Mainstream-Pop, lieber mitten in die Untiefen des Magic Life, ohne Rückfahrkarte auf die bequeme Retro-Couch, bye, bye: "Hey, Monika-a / sag es einmal noch zart / sag leise baba." Wie dieses "Baba" ja überhaupt die allergelungenste Art des Abschiednehmens ist. "Bye, bye" ist ja immer entweder zu lapidar oder zu schadenfreudig. "Baba" ist dagegen so schön beiläufig-fatalistisch.

Der letzte Song "Sneakers4Free" ist dann als ebenso furchterregender wie maximal lässiger Tagtraum aus der Mitte dessen, was der Philosoph Gernot Böhme jüngst "ästhetischen Kapitalismus" genannt hat, so etwas wie der heimliche Höhepunkt der Platte. Der ästhetische Kapitalismus hat es ja geschafft, auch den überflüssigsten Konsum nützlich zu machen. Er ist zum Rohstoff der Selbstinszenierung geworden.

Maurice Ernst braucht für diese Monströsität bloß ein paar Zeilen über das Betreten eines Einkaufszentrums: "Die Alten sagen, nichts im Leben ist for free / Ich will's nicht glauben, seh da drin keinen Sinn, ich bin so high wie nie / Türen aus Glas / Sehen mich kommen / Machen sich auf /Slideshow / Slideshow / Und da steht sie / Dieses sweet thing / Die Verkäuferin / Ja, ja, die Verkäuferin / Sie sagt / Für dich ist alles gratis, alles ist gratis / Ich fühl' mich so gratis." Wow.

"Verkäuferin" spricht Maurice Ernst dabei amerikanisch aus, mit dem "R", bei dem die Zunge hinten im Hals steckt, wie in "right". "Gratis" aber natürlich nicht. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, während es ums Herz ganz warm wird.

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