Magersucht-Kunst: "32 Kilo":Bin ich schön?

Sind Strapse noch sexy, wenn die Models nur noch 32 Kilo auf die Waage bringen? Yvonne Thein rückt mit ihrer Kunst der Magersucht auf den Leib.

Ruth Schneeberger

10 Bilder

yvonne thein 32 kilo fotoserie models magersucht

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Na schön, eine weitere Modestrecke mit superdünnen Models, denkt sich der unaufmerksame Beobachter beim Anblick der Fotoserie "Zweiunddreißig Kilo" von Fotografin Yvonne Thein.

Alle Fotos: Yvonne Thein

Text: Ruth Schneeberger

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Weiß ist das neue Schwarz, und die Schuhe sind ja auch ganz hübsch. Aber muss es denn gar so puristisch sein, das aktuelle Frauenbild der Modewelt? Sind vielleicht doch ein wenig zu klapprig, die Damen - und warum sind ihre Gesichter verdeckt?

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Erst bei näherer Betrachtung wird man stutzig: Je mehr streichholzdünne Gliedmaßen und verknöchert-sehnige Körper der Betrachter zu Gesicht bekommt, desto gruseliger wird es. Soll das wirklich noch schön sein?

Wenn der Kopf doppelt so breit ist wie der Rumpf, die Beine bei der nächsten Bewegung zu brechen drohen, der ganze Mensch durch einen Windhauch weggefegt zu werden vermag? Je genauer man hinschaut, desto mehr Gänsehaut verspürt man. Und genau auf die hat es die Dortmunder Foto-Künstlerin abgesehen.

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Die 29-Jährige, die selbst schon Modefotos gemacht hat, war entsetzt, als sie durch einen Magazinbericht auf die Bewegung Pro Ana aufmerksam wurde: Sie besteht aus jungen Mädchen, die sich im Internet auf verschiedenen Websites gegenseitig in ihrer Magersucht bestärken, indem sie Fotos von dünnen Stars zusätzlich retouschieren und sich Tipps zum Hungern geben. Auf diesen Websites findet man Ratschläge wie "Iss nichts, was größer ist als deine Handfläche", "Gehe ab und zu in die Küche und klappere mit Geschirr", "Rieche an der Verpackung deines Lieblingssnacks, wenn Du Hunger hast" - alles anonym, versteht sich.

Yvonne Thein war schockiert. Und machte sich an die Arbeit.

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Keines der magersüchtigen Mädchen wollte sich von ihr portraitieren lassen, also musste Thein selbst Hand anlegen. Schnappte sich ein paar normalgewichtige Freundinnen, verpasste ihnen blonde Perücken, lichtete sie in unnatürlichen Posen in einer kargen Lagerhalle, also ganz im Stil der hippen Modefotografie, ab - und bearbeitete die Fotos nachträglich am Computer.

Aus schmalen Schenkeln wurden dürre, Hüften wurden weggeschnitten, Muskeln entfernt, Taillen angespitzt, Arme bis zur Schmerzgrenze abgemagert, alles Weibliche reduziert, jegliches Gramm Fett musste weichen. Ganz so, wie es Magersüchtige mit ihren eigenen Körpern gern täten.

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"Ich weiß, wie schnell man sich von einer hübschen Oberfläche beeinflussen lässt. Man denkt, das ist schön, weil das Drumherum stimmt - obwohl der Körper dahinter längst nicht mehr attraktiv ist", sagt die Fotografin im Gespräch mit sueddeutsche.de. Deshalb weiß sie um die Macht der Bilder - und wie schnell sich gerade junge Menschen von den retouschierten Bildern aus der Werbung anstecken lassen. "Ich wollte das Ganze auf die Spitze treiben." Gut und unschön - aber ist das nicht ein bisschen spät?

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Haben wir über Magersucht und klapperdürre Models als Vorbilder, über Anorexie und Bulimie, über den Zusammenhang von Werbung und Körperwahrnehmung, nicht oft genug schon nachgedacht, und werden die Models nicht schon wieder kurviger?

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"Die Modefotografie bedient sich immer noch dieser Mittel, um ihre Produkte zu verkaufen", antwortet Thein. "Mode und Werbung beeinflussen uns, und erst recht junge Mädchen, die noch keine gestärkte Psyche haben. Ich wollte erreichen, dass die Leute abgestoßen sind." Überzeichnete Bilder als Gegengift zur allgegenwärtigen großen Dürre?

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Das funktioniert nicht bei jedem: "Manche Besucher meiner Ausstellungen fanden die Fotos schön." Dabei hat sich die Fotografin alle Mühe gegeben, die zunächst ästhetisch angelegte Bilderserie optisch zu brechen: Mullverbände, Bandagen, verrenkte Körperteile, versteckte Gesichter. "Ich wollte Austauschbarkeit und keine Persönlichkeit, bloß kein Mitleid und keine Identifikationsmöglichkeit. Das könnte jedes Mädchen sein. Jedes Mädchen, das vielleicht nur ein bisschen abnehmen wollte."

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Seit "Zweiunddreißig Kilo" in Berlin zu sehen war, haben die Bilder viel Aufmerksamkeit erfahren - einen Nerv trifft der gefährliche Körperkult offenbar nach wie vor. Die zweifelhaft schönen Fotos werden im Januar 2008 die Reise nach Washington antreten, wo sie im Goethe-Institut gezeigt werden, danach wird New York angepeilt.

Bis dahin beschäftigt sich die Künstlerin mit ihrem neuen Projekt. So viel sei verraten: Es geht um Schönheitswahn.

(sueddeutsche.de/korc)

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