Das Verlangen, das alte Narrativ in Frage zu stellen, wurde von vielem blockiert, was einst gut und richtig schien. In Nigeria ist der Begriff "Back Pisser" ein gängiges Wort, das Männer Frauen zurufen, um die Verhältnisse klar zu stellen. Hintergrund ist ein alter Brauch: In einem kleinen Dorf in Westnigeria gab es einen Wettkampf, zwischen Frauen und Männern. Man musste eine Strecke gehen, während man uriniert. Wer dabei sauber bleibt gewinnt, wer sich beim Urinieren hinten am Bein schmutzig machte, galt als "Back Pisser". Bei diesem Wettkampf der Geschlechter hatten die Frauen nie eine Chance.
Das Ego vieler nigerianischer Frauen ist auch durch Geschichten wie diese unermesslich klein, das der Männer meist entsprechend groß. Und je fester die kulturellen Säulen eines Menschen verankert sind, desto schwerer ist es, das kulturelle Erdreich herumzugraben. Kurz: Als ich, damals im Alter von 33 Jahren in Deutschland ankam, war das ein echter Kulturschock. Die deutschen Frauen erschienen mir galant bis charmant, dabei aber ungewohnt bestimmt, fast schon herrisch, wie ich es nur von Männern kannte.
Manch anderem Afrikaner, den ich hier kennen lernte, ging es da ähnlich. Ein Mann aus meinem Bekanntenkreis verlor seinen Job, weil er einer Kollegin ein Schimpfwort zurief. Und zwei Bekannte wurden von ihren deutschen Frauen aus der gemeinsamen Wohnung ausgesperrt, nachdem sie sich vorher gestritten hatten. Von seiner Frau vor die Tür gesetzt werden, ist ein stehender Begriff in der deutschen Sprache. In Nigeria gibt es dafür nicht einmal eine Redewendung.
Dies ist mein innerer Konflikt, den ich tagtäglich mit mir und meinen Freunden und Kollegen in Deutschland austrage. Als ich in meiner Anfangszeit erzählte, wie in manchen ländlichen Regionen mit Frauen umgegangen wird, habe ich mir immer wieder angewiderte Blicke eingefangen. Wenn ich gesagt habe, es sei ganz normal, dass sich eine nigerianische Frau eine Watschen einfängt, wenn klar werden soll, wer Herr im Haus ist, wurde ich angeschaut wie ein Krimineller. So lange, bis ich erzähle, dass ich noch nie eine Frau geschlagen habe. Ich muss mich jedes Mal distanzieren von dem, was ich über mein Land und seine Sitten erzähle.
Würde man die deutsche Frau exemplarisch beschreiben wollen, so steht sie für Selbstständigkeit und Unabhängigkeit mit der Bereitschaft sich zu verteidigen, wenn es denn nötig ist. Sie versprüht die Aura einer wachsamen Löwin: Schön, aber auch gefährlich.
Über nigerianische Frauen lässt sich das in den selteneren Fällen sagen. Über sie sagt man eher, dass sie nicht in der Lage sind, einen Autoreifen zu wechseln. Ich nahm diesen Zustand immer hin, aber wie kann man dies guten Gewissens tun, wenn man einer nigerianischen Frau nicht einmal die Chance dazu gibt?
Meine Mutter hatte keine Chance auf Bildung, weil nur Buben zur Schule gehen durften
Es gibt Chauvinisten, wie man sie häufig in Nigeria findet. In Deutschland wird man mit Bewegungen konfrontiert, die aus der anderen Richtung kommen. Frauenrechtler und der Feminismus sind hier bereits tief in der Gesellschaft verankert. Der Weltfrauentag hat hier eine ehrliche Bedeutung. In Nigeria ist die Aufmerksamkeit für diesen Tag gering, selten, dass jemand dafür mit Plakaten auf die Straße geht. Und so unaufgeklärt das für viele Deutsche klingen macht, es zerreißt mich noch immer bei dem Gedanken, dass all das, was mir in 30 Jahren auf den Weg gegeben wurde, in meiner neuen Heimat so in Frage gestellt, nein, verurteilt wird. Gleichzeitig erinnere ich mich dann an meine Mutter, der die Chance auf Bildung von Anfang an genommen war, weil nur die Buben zur Schule gehen dürften. So sah es mein Großvater, ein angesehener Mann, dessen Tochter Zeit ihres Lebens in der Küche arbeitete. Ganz so, wie es auch Präsident Buhari gerne sieht.
Frauen werden geschlagen. Das gibt es auch in Deutschland. Der Unterschied ist, dass man sich in Nigeria nicht dagegen wehren kann. Beschwert sich eine Frau bei der Polizei, dass sie von ihrem Mann vergewaltigt wird, würde sie ausgelacht werden. Ein altes nigerianisches Sprichwort sagt, dass Männer das Heim aufbauen und Frauen dafür sorgen, dass es sich heimisch anfühlt. Es gibt aber ein zweites Sprichwort, eine Parabel. Ein Mann und eine Frau gehen durch den Wald. Der Mann sieht eine Giftschlange auf dem Weg, worauf die Frau sie mit einem Stock erschlägt. Wichtig ist nicht, wer den Stock hält, wichtig ist, dass niemand verletzt wurde.
Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger. Alle Texte aus der Reihe "Neue Heimat" unter sz.de/neueheimat