Süddeutsche Zeitung

"Mädchen für alles" von Charlotte Roche:Es tröpfelt wieder

Die "Bumsbuchtante" schlägt wieder zu: Im neuen Buch von Charlotte Roche beginnt ein komatöses Desperate Housewife eine Affäre mit der Babysitterin. Lohnt sich die Lektüre?

Von Ruth Schneeberger

Worum geht's?

Charlotte Roche hat es wieder getan: Nach ihren beiden Skandalromanen "Feuchtgebiete" und "Schoßgebete" liegt an diesem Montag das dritte Buch der 37-jährigen Ex-Viva-Moderatorin vor, der Titel: "Mädchen für alles". Darin geht es um eine verzweifelte Hausfrau, die einen eventuell schwulen aber in jedem Falle langweiligen Mann und eine kleine Tochter hat, zu der sie keinerlei Beziehung aufbaut. Christine macht den lieben langen Tag (und viele Kapitel lang) kaum anderes als zu schlafen oder sich in einen komatösen Zustand zu befördern, am liebsten durch Alkohol, manchmal durch andere Drogen, gerne auch durch US-TV-Serien.

Die Tochter versorgt in der Zeit der brave Mann, um den Haushalt kümmert sich alsbald eine Babysitterin, so frisch und rosig, dass sich sowohl ihr Mann als auch Christine selbst nach ihr verzehren. Doch Christine hat den längeren Atem, weniger zu tun und die niederträchtigeren Gedanken - sie gewinnt das Rennen um die Zuneigung der jungen Dame.

Lohnt sich die Lektüre?

Schon. Selten hat eine Somnambule ähnlich unterhaltsame Dinge von sich gegeben. Ständig sinniert Christine über ihr vergeigtes Leben, ohne aber zu jammern oder in Wehklagen zu verfallen. Es ist eher ein freches Aufbäumen gegen ihre eigene Unfähigkeit, ein geregeltes und glückliches Leben zu führen. Ein paar nette Ideen tragen die Story und lassen sie fast nie langweilig werden: Jörg, der lahme Ehemann, verbietet seiner Frau, Sport zu machen. Weil Leute, die ständig Sport machen, schrecklich sind; darauf haben sich die Eheleute zu besseren Zeiten geeinigt. Weil Christine aber zunimmt und auch sonst aus den Vereinbarungen der einengenden Ehe ausbrechen will, macht sie heimlich Sport und muss sich, wie zu einem heimlichen Date, dazu aus dem Haus schleichen und den Trainer bar bezahlen - wie einen Dealer. Das ist eine Roche-typische verquere Alltagsbeobachtung, aber sie funktioniert.

Schlussendlich wird es tarantinomäßig heftig, viel Blut muss spritzen, Roche als Rächerin. Auch in diesem brutalstmöglichen Ende findet sich noch der sarkastische Humor, der den Leser in diesem Höllenritt durch menschliche Psyche und Körper daran erinnert, ordentlich nach Luft zu schnappen und vor lauter Verzweiflung und Irrsinn lauthals zu lachen.

Gibt es wieder Sex?

Natürlich. Wo kämen wir da hin, wenn einem Roche-Buch explizite Sexszenen fehlen würden? Die machen der Autorin doch am meisten Spaß, damit hält sie ihre Fans bei der Stange, und natürlich muss es immer auch ein bisschen eklig sein. Das schafft sie diesmal, indem sie das eigentlich aus der Tabuzone schon fast befreite Thema Sex unter Frauen mit Machtkonstellationen und Kontrollfantasien mischt. Und nicht zuletzt ist der Titel "Mädchen für alles" wirklich nicht übertrieben. Aus Spoilergründen verzichten wir an dieser Stelle auf weitere Erläuterungen.

Charlotte Roche sagte kürzlich der FAZ, ihre Kernkompetenz als Autorin liege darin, Sexszenen zu schreiben, "das fluppt so": "Wenn es einen Beruf gäbe, den man ausüben könnte, indem man nur Sexszenen schreibt, dann wäre ich die beste Besetzung." Das mag sie selbst so sehen, stimmt aber nicht ganz. Ihre Sexszenen heben sich, wie immer, vor allem dadurch hervor, dass sie möglichst nahe an der ungeschönten Realität sind - und damit das Gegenteil von Porno. Ihr Moderatoren-Kollege Jan Böhmermann nannte Roche einst "die Bumsbuchtante", tat ihr damit aber unrecht: All ihre Bücher handeln zwar von Sex, auch weil ihr die Provokation liegt. Eigentlich aber behandelt sie in allen drei Romanen tiefere Themen, die über das Sexthema transportiert werden.

Worum geht es wirklich?

In "Feuchtgebiete" ging es um das Ausbrechen einer jungen Frau aus dem Hygienewahn einer Klumisierten Welt, in "Schoßgebete" um das Verarbeiten eines familiären Schicksalsschlages. "Mädchen für alles" ist die Fortsetzung des letzten Buches. Schon darin deutete sie an, dass das Verhältnis zu ihren Eltern alles andere als rosig sei, nun führt sie den Gedanken zum bitteren Ende. Nebenbei lässt sie wieder eine Romanheldin aus einem Käfig ausbrechen, den offenbar viele Frauen kennen: den des unglücklichen Mutterdaseins. Und ist damit wieder einmal auf der Höhe der Zeit.

Es tröpfeln Blut, Schweiß, Vaginalsekret, aber diesmal kein Sperma: Der schnelle Ritt durch die Wirrnisse einer halbjungen, sich selbst unterdrückenden Frau, gespickt mit ein paar klugen Beobachtungen des soziopathischen Alltags, ist unterhaltsam und hochnotspaßig. Wieder einmal keine große Literatur, dafür aber ein großes Thema, lustig verwurstet. Aber Achtung: Ohne Humor hält man das alles nicht aus.

Die beste Szene?

Ist die Schlussszene, die aber nicht verraten werden darf, sonst macht die Lektüre wenig Sinn. In einer anderen typischen Szene blitzt der schwarze Humor der Autorin gekonnt durch, als die soeben mehr oder weniger friedlich entschlafene Oma auf ihrer geblümten Gartenliege von einem Google-Street-View-Auto fotografiert wird - ein Bild für die Ewigkeit.

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