Natürlich wohnt Madonna in Köln direkt am Dom. Tagsüber immer im Blick haben den Gegner, den man abends vorzuführen gedenkt, scheint die Devise zu lauten.
Nachmittags um kurz nach vier verlässt die Queen of Pop am Mittwoch ihre Residenz. So notieren es jedenfalls ihre vor dem Hotel wartenden Anhänger. Madonna entschwebt auf die andere Rheinseite in die Lanxess-Arena. Aber es wird noch ein bisschen dauern, bis sie sich den Fans offiziell beim ersten Europa-Konzert ihrer "Rebel Heart"-Tour präsentiert.
Die ausgeschriebene Anfangszeit sieht sie offenbar eher als Empfehlung denn als höfliche Pflicht. Ein DJ hampelt ab 20 Uhr orientierungslos an einem Pult herum und kreiert eine Stunde Grabbeltischsounds, die jede Dorfdisko in die Pleite treiben würden.
Danach folgen noch einmal 70 Minuten Wartezeit. Unruhe. Pfiffe. Mehr Pfiffe. Erst um 22.20 Uhr geruht schließlich der Star des Abends in einem Stahlkäfig von der Hallendecke zu schweben.
Bei der deutschen Bahn hätte man als zahlender Kunde längst eine Entschädigung fordern können. Nicht bei dieser Frau. "Bitch I'm Madonna" lautet ihr zweiter Song, der dröhnt wie der rotzige Auftakt zu einer Regierungserklärung, die erst um halb eins mit dem Frühzeithit "Holiday" ausklingen wird. Nicht ohne dem Publikum kurz vorher via Videowand noch ein kräftiges "Bye Bitches" mitgegeben zu haben.
Wucht statt Wärme
Madonna macht zum Auftakt ihrer Europatournee keine Gefangenen. Sie setzt besonders zum Beginn ihrer aufwendigen Show erst einmal aufs Motto Wucht statt Wärme.
Sie knallt den Zuhörern die Bässe um die Ohren, dass dieselben beinahe fliegen gehen. Subwoofer statt Sound scheint ihre Anweisung an den Tonmeister zu lauten. Das ist als akustische Kriegserklärung zu werten, die optisch ihre Entsprechung findet in mehr als einem Dutzend als Krieger verkleideter Tänzer, die mit gefährlichen Lanzen ausgestattet sind.

Neues Musikvideo:Bitch, sie ist Madonna!
Madonna trägt mit 56 pinke Schlüpfer, gießt knackigen Kerlen rote Schnäpse ins Gesicht und will wirklich wirklich nicht alt werden. Problem damit?!
An einer dieser Lanzen lässt sich Madonna kurz kopfüber aufhängen. Alte Schlachtregel: Zeig dem Gegner früh, dass du fit bist, dass du es noch drauf hast.
Diese 57-Jährige hat es noch drauf, zumindest, was die Optik angeht und den Willen, die vom Dom ein bisschen zu provozieren. Schon beim dritten Song stehen vier leichtgekleidete Nonnen auf der Bühne. Kreuze ragen in die Höhe, an deren glänzenden Vertikalstangen die offenbar schwer gestrauchelten Gottesdienerinnen sich lustvoll winden.
Jeder Skandalversuch wird sofort durch den nächsten inflationiert
An einem der Kreuze hangelt sich Madonna hoch und zitiert kurz ihren Hit "Vogue". "Strike The Pose" heißt es darin. Auftrag erledigt.
Danach wird bei "Devil Pray" noch rasch Leonardo da Vincis Abendmahl nachgestellt und ein wenig so getan, als kopuliere man auf dem altargleichen Tisch. "Kardinal Woelki steh ihr bei!", möchte man den Chef vom Dom anrufen, aber dann lässt man es, weil jeder Skandalversuch sofort durch den nächsten inflationiert wird.
Die Show ist noch keine halbe Stunde alt, da droht sie bereits an ihrer eigenen Opulenz zu ersticken. Es wirkt wie der verzweifelte Versuch, die ausbleibende Schlagkraft der jüngsten Platten mit einem Zuviel von allem wettzumachen
Dabei wird sich später herausstellen, dass diese ersten 35 Minuten noch das Beste an der großen Show sind, die an zwei Tagen 29 000 Zuschauer in die ausverkaufte Arena locken wird. Es ist jene Zeit, in der Madonna die Chefin ist, in der sie als Domina des akustischen Beeindruckungsgewerbes zeigt, wo die Plastikpeitsche hängt. Sie ist die Regentin, die Herrscherin über all die Bitches da draußen. Unnahbarkeit lautet dabei ein essentieller Teil ihres Regierungsprogramms.
Das mit der Unnahbarkeit verwirft sie indes, als sie nach 37 Minuten und einer Umkleidepause plötzlich mit Achtzigerjahre-Frisur und klumpigen Schuhen optisch den großen Michael-Jackson-Jahren huldigt. Auf einmal gibt sich die Diva volkstümlich und macht genau damit einen großen Fehler.
Sie spricht zum Publikum, sie versucht unmittelbare Nähe herzustellen, sie teilt die Fans in zwei Gruppen und probiert in Kindergeburtstagsmanier das Wer-ist-lauter-Spiel durchzuziehen.
Sie schafft es, ein bisschen Lärm aus vielen Kehlen zu locken, aber Verbundenheit schafft sie nie. Eine Madonna will man nicht zu nah haben, weil sie dann nicht mehr die Madonna ist, die es zu verehren lohnt. Für ihre frühere Innovationskraft, für ihr Aufbegehren und heute wenigstens fürs Immernochdasein.
Madonna bekommt eine Ukulele gereicht und singt "True Blue". Im Schatten hinter ihr steht derweil ihr Gitarrist, auch ausgestattet mit einer Ukulele. Sicher ist sicher.
Wer jetzt fragt, ob Madonna das wirklich alles live singt, wie viel vom Sound aus der Konserve kommt, was die beiden Backgroundsängerinnen beisteuern, der fragt falsch. Musik ist zweitrangig. Im Vordergrund steht der Wunsch, eine akustische Kulisse hochzuziehen, viel Wind zu machen, im besten Fall einen Sturm zu entfachen. Leider wird es zu oft nur ein laues Lüftchen.
In gut drei Wochen gibt es in der Kölner Arena übrigens ein Gastspiel von Bibi Blocksberg, der kleinen Hörbuchhexe. Bei "Deeper And Deeper" wirkt es für einen Moment so, als sei Bibi zu früh nach Köln gekommen und übe nun kräftig das Tanzen. Aber es ist doch immer noch Madonna, die wohl abermals unter Beweis stellen will, dass sie es noch drauf hat. Allein der Gedanke, dass sie zeigen muss, dass sie es noch drauf hat, beweist, dass der Mythos Madonna dicke Risse aufweist. Das Denkmal bröckelt sichtlich.
Bei "Like A Virgin" stapft sie über die Bühne wie ein ungebetener Gast in der eigenen Karaokeshow. Sie stakst, sie schüttelt sich, sie zeigt ihre Beweglichkeit, aber am Ende ist der Hauch des Unantastbaren dahin. Das hat keinen Glamour mehr, das sieht aus wie ein Zumbakurs für Landfrauen.
Ein Königin darf sich nicht anbiedern, eine Königin regiert
Der Grund für das Scheitern ist sehr deutlich im Versuch zu finden, das opulente Gesamtwerk der Künstlerin abzubilden. Das aber öffnet immer wieder die Tür zum Vergleich mit den Achtzigerjahren, und da sieht Madonna nicht unbedingt alt aus, aber doch sehr oft sehr hilflos.
Beinahe rührend sind ihre Versuche, Kontakt zum Publikum aufzubauen, mit Fans zu sprechen. Das misslingt mehrfach. Je öfter sie es dann doch probiert, desto mehr riecht es nach Anbiederung. Eine Königin darf sich aber nicht anbiedern bei ihrem Volk, eine Königin regiert. Für alles andere ist Helene Fischer zuständig.
Was Madonna verspielt, holen ihre Tänzer aber kurz wieder herein. Während die Chefin zum wiederholten Mal in die Umkleide eilt, turnen sie oben auf baumhohen Stangen, die sich wie Schilf im Wind wiegen. Das ist akrobatisch atemberaubend, zeigt aber genau, wo die Standards liegen, wenn sie hoch positioniert werden.
Ein bisschen Wucht schafft Madonna aber dann doch wieder heran, als sie im vierten Akt der Show mit "Music" auftrumpft. Für einen Moment hat das wieder die bekannte Klasse. "Hey, Mr. DJ", singt sie und schafft endlich wieder die Distanz zum gemeinen Volk. "Nobody fucks the Queen", hat sie zuvor gerufen, und für einen Moment wirkt es tatsächlich, als gelänge es ihr, dieses Reinheitsgebot durchzusetzen.
Edith Piafs Klassiker "La vie en rose" degradiert sie zum Schunkelschlepper
Doch kurz danach ist alles wieder dahin. Sie gibt das "Material Girl" als dumpfen Stadl-Stampf, und dann biedert sie sich einmal mehr an. "It's hot in Germany", sagt sie, aber es ist nicht die Hitze, die den Tanzboden flackern lässt, eher jene, die Frauen in den Wechseljahren plagt.
Gänzlich peinlich wird es schließlich, als sie erneut die Ukulele nimmt und "La vie en rose" intoniert. Den 70 Jahre alten Edith-Piaf-Klassiker schrammelt sie zum viervierteltaktigen Stampf herunter und nimmt dem bezaubernden Lied allen Swing. Sie degradiert dieses große Werk zu einem Schunkelschlepper.
Das kann sie auch mit der Zugabe nicht wieder wettmachen. Zu "Holiday" taucht sie mit Zylinder und Deutschlandfahne auf. Als hätte eine Königin so etwas je nötig gehabt.
Früher fand Madonna ihre Kunst im Ausbruch aus der Konvention, heute bedient sie genau diese. Sie tut nicht mehr, was sie will, sie tut, was sie glaubt, tun zu müssen. Ihre Gefühle sind nur noch Behauptungen, nicht einlösbare Versprechungen auf ein besseres Irgendwas, das niemals kommt.
Sie ist nicht länger die Queen of Pop, höchstens noch Queen-Mum, die Mutter Beimer der popmusikalischen Resterampe. Als solche entschwebt sie final wieder unter die Hallendecke und ruft "Thank You, Cologne. Good Night. Auf Wiedersehen." Letzteres klingt angesichts des Erlebten fast wie eine Drohung.
