Madonna gastiert in Berlin:Alles muss raus

Braucht die beste Show der Welt eigentlich noch eine Hauptdarstellerin? Bei Madonnas Konzert in Berlin riecht es nach einem Schlussverkauf des Stadion-Entertainments.

Dirk Peitz

Irgendwas hakt. Es ist kurz nach neun Donnerstagabend, die Musik ist aus, die Hauptbeleuchtung seit Minuten gelöscht, das weite Rund des Berliner Olympiastadions in violett-rotes Licht getaucht - es sollte jetzt losgehen, aber es passiert nichts. Schon der Start von Madonnas Deutschland-Abstecher auf ihrer aktuellen Welttournee wirkt verpatzt.

Madonna gastiert in Berlin: Bei der "Sticky & Sweet"-Tour gibt es handfeste Neuigkeiten: Madonna spielt Gitarre.

Bei der "Sticky & Sweet"-Tour gibt es handfeste Neuigkeiten: Madonna spielt Gitarre.

(Foto: Foto: ddp)

Im Zentrum der Bühne steht ein schwarzer Kubus. Er könnte eine Anspielung sein auf Gregor Schneiders Hamburger Kaaba-Cube, aber die Zeiten, als Madonna Kunstanspielungen machte, sind wirklich sehr lange her.

Man weiß schon vorher, dass der Würfel sich öffnen wird, sich teilen wird in verschiedene Projektionsleinwände, die irgendwie über die Bühne schweben werden, Madonna wird in diesem Würfel stecken wie Jack in the box und da irgendwann raushüpfen.

Das ist alles kein Zauber, sondern moderne Bühnentechnik, und noch immer gibt es niemanden, der damit besser umgehen könnte als Madonna; der eine technisch perfektere, visuell beeindruckendere Show zustande brächte als diese 50-jährige Frau. Außer, natürlich, ein ganzer Staat wie China eröffnet zum Beispiel Olympische Spiele.

Woher noch neue visuelle Reize nehmen?

Die Frage, die sich mit den letzten Madonna-Tourneen jedoch zunehmend lauter gestellt hat, war bloß: Braucht die beste Show der Welt eigentlich noch eine Hauptdarstellerin?

Die Antwort der nächsten knapp zwei Stunden, nachdem die letzten Bilder eines computeranimierten Flipper-Filmchens auf allen Seiten des Würfels abgespielt wurden, sich die Rückwand gedreht und doch noch den Blick auf Madonna freigegeben hat, in knapper schwarzer Klamotte auf einem Thron sitzend, die Antwort also könnte lauten: Die Show braucht Madonna nicht, aber Madonna braucht die Show.

Das ist nicht etwa Ausdruck eines Verfallsprozesses. Es ist die Folge modernen Stadion-Entertainments, das mit immer größerem technischen Aufwand betrieben wird und so immer mehr gefangen ist in einem Überbietungswettbewerb mit sich selbst: Woher noch neue visuelle Reize nehmen, wie noch so etwas wie individuelle Künstlerpersönlichkeit in eine kalt-funktionale Supermaschinerie bringen?

Um Konzerte im klassischen Sinne geht es da ja längst nicht mehr, die wären eine viel zu billige Sache bei Eintrittspreisen zwischen 75 und 200 Euro.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Madonna ihr Konzert in Berlin visuell umsetzt.

Alles muss raus

Auf den Rängen klaffen dennoch sichtbar Lücken, nur vergleichsweise enttäuschende 50.000 Zuschauer sind gekommen, es riecht nach Schlussverkauf des Stadion-Entertainments, so als müsse vorm Preissturz noch schnell alles raus: Wie lange wird es dem Publikum wohl noch reichen, zu Augenzeugen eines Ereignisses gemacht zu werden, das an jedem Ort und an jedem Abend dieser Tournee exakt gleich ist und gleich klingt, bis auf die Ortsangabe in den Zwischenansagen: "Are you ready, Berlin?"

Wie viel von dem, was man zu hören bekommt an diesem Abend, wirklich live gespielt und gesungen ist, diese Frage ist natürlich müßig; was zählt, ist die Geste, und da immerhin bietet die "Sticky & Sweet"-Tour handfeste Neuigkeiten: Madonna spielt Gitarre. Zumindest hängt ihr eine um den Hals, bei gut einem Drittel der Lieder, und zwei bis drei Akkorde greift sie schon, doch auch das kann man eher sehen als hören.

Ein Rudel Tänzer ist immer zur Hand

Entsprechend eingerockt sind ein paar der vielen erwartbaren Hits, die sie an diesem Abend in einer Art Mega-Remix spielen lässt; andere lässt sie in Zigeunermusikversionen von rumänischen Musikern vorfideln, zum Ende hin gibt es vor allem Techno-Mixe. Das Modernisieren von Hits ist das wesentliche musikalische Zugeständnis an die Live-Situation, nichts soll einfach wie auf Platte klingen, sonst wäre es ja wirklich nur eine Karaoke-Show.

Entscheidend aber bleibt die visuelle Umsetzung, und die ist natürlich charmant, ein Rudel Tänzer ist immer zur Hand, um die Show auf Tempo zu halten, und ein schönes Überbrückungsfilmchen, wenn Madonna sich mal wieder eine andere Hot Pant anziehen muss.

Einmal wird es sogar poetisch, als wie aus dem Nichts über dem weit ins Publikum reichenden Steg ein riesiger, zylinderförmiger Käfig herunterfährt, auf den von innen eine 360-Grad-Projektion geworfen wird mit einem synthetischen Meer aus Wasserspielen; als die Projektion dann ausgeht, ist von unten aus dem Steg ein Piano in den Käfig heraufgefahren, auf dem dunkel verhüllt Madonna liegt - ja, das ist schon sehr schön anzuschauen.

Die Sänger-Gastauftritte auf ihrem neuen Album "Candy Shop" wiederum inszeniert Madonna mit Hilfe von vier mannshohen, auf der Bühne frei verschiebbaren Projektionsflächen, auf denen dann Justin Timberlake, Timbaland und Pharrell Williams jeder für sich erscheinen und ihre Parts aus der Konserve beisteuern. Hätte sich nicht auch Madonna den Weg sparen können nach Berlin?

Natürlich nicht, irgendwer muss die Show ja schmeißen. Am Ende schließt sich der große, schwarze Würfel wieder, "Game Over" steht nun groß auf allen seinen Seiten. Wie wahr. Doch noch ehe der letzte Ton von Madonnas Band verklungen scheint, springt schon die nächste Konserve an: Madonna lässt als Rausschmeißer allen Ernstes "God Save The Queen" von den Sex Pistols laufen. Gott schütze die Königin des Pop.

Tour: 4.9. Düsseldorf, 9.9. Frankfurt

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