"Macbeth" in Hamburg:Der kleine Despot

"Macbeth" in Hamburg: Mad Dictator: Kristof Van Boven als Macbeth.

Mad Dictator: Kristof Van Boven als Macbeth.

(Foto: Lalo Jodlbauer/SchauSpielHaus)

Karin Henkel verkindlicht Shakespeares "Macbeth" am Schauspielhaus Hamburg in einer sehr speziellen eigenen Fassung. Es ist auch ein Déjà-vu.

Von Till Briegleb

Der Tyrann als kindisches Gemüt, trotzig und ersten Impulsen folgend, wurde als Interpretation schon in berühmten Rollen vorgeführt. Peter Ustinov als Nero oder Charlie Chaplin als Hitler machten es im Film vor, wie das Verhalten von leicht zu kränkenden Diktatoren aussehen könnte. Mal weinerlich, mal spielend, eine Farce ohne Vernunft, gelenkt von kurzsichtigem Eigennutz, so spielen seither manche Schauspieler und Schauspielerinnen irre Staatslenker. Diese Vorstellung vom verzogenen narzisstischen Kind, das die Bockigkeit in seinen Wünschen zum politischen Erfolgssystem ausbaut, bis alle Angst vor ihm haben, ist allerdings in der aktuellen Krisenlage nicht die aufdringlichste Erscheinung von egomaner Staatsführung.

Der schnell beleidigte Herr Erdoğan erinnert zwar manchmal an einen Kinderzimmer-Despoten, natürlich die lächerlichen Blutsbrüder Kim Jong-un und Donald Trump. Aber den echten Gefahren für Leben und Freiheit der Menschen, wie Putin oder Xi Jinping, Ebrahim Raisi, Assad oder Min Aung Hlaing, kommt man durch die Aufdeckung einer möglichen Komödie hinter ihrer Brutalität nicht wirklich nahe. Deswegen ist der Macbeth von Kristof Van Boven in der Regie von Karin Henkel, der jetzt am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg das böse Ende der Machtgier vorführt, auch nicht wirklich ein Gegenwartskommentar, wie man es bei diesem derzeit häufig gespielten Stück erwarten würde - sondern eher Unterhaltung durch Übertreibung.

Der renitente Zappelphilipp als Vorbild des Skrupellosen

In der auf knapp zwei Stunden gekürzten und von Shakespeares Sprache gründlich bereinigten Neufassung von Henkel und ihrem Dramaturgen Roland Koberg wird der Zappelphilipp Vorbild des Skrupellosen. Kristof Van Boven ziert sich nicht vor dem Gezierten und lässt vom ersten Moment an den renitenten kleinen Jungen erscheinen. Er jammert und mault, pendelt rasch zwischen Feigheit und Gier, setzt seinen Körper artistisch ein, um dem schottischen Adeligen, der in seinem Schloss einen König ermordet, in allen Facetten den Ausweis der Unfähigkeit zu geben. Nichts an dieser wilden Aufführung von "Ich will aber" qualifiziert diesen Menschen zum Regieren.

Sein Solo des Desinteresses für die Anforderungen eines verantwortungsvollen Amtes wird begleitet von zwei Ladys und einem Mädchenchor mit Mireille-Mathieu-Perücken. Die eine Lady, Angelika Richter, lenkt den kleinen Königsmörder in schwarzem Rock und Springerstiefeln durch strenge Ermahnungen zum Bösen. Die andere, Kate Strong, erfüllt die Rolle der ordinären Gouvernante, die Tacheles mit vielen "Fucks" darin spricht. Und der etwas unheimliche Kinderchor aus gut dressierten Mädchen spricht und singt dem Macbeth ständig den Ausgang seiner Geschichte vor.

"Macbeth" in Hamburg: Der kindliche Macbeth, umgeben von einem Gruselchor aus Mädchen in Schuluniformen mit Mireille-Mathieu-Perücken. Sie flüstern ihm sein Schicksal ein.

Der kindliche Macbeth, umgeben von einem Gruselchor aus Mädchen in Schuluniformen mit Mireille-Mathieu-Perücken. Sie flüstern ihm sein Schicksal ein.

(Foto: Lalo Jodlbauer/SchauSpielHaus)

Leider wirkt diese ganze Verkindlichung kranker Ambitionen die meiste Zeit wie ein Wurmfortsatz von Henkels großartiger Shakespeare-Adaption "Richard the Kid & the King", für die Lina Beckmann als buckliger Meuchelmörder Richard bei der letzten Aufführung im Schauspielhaus die Auszeichnung als Schauspielerin des Jahres überreicht bekam. Von Teilen der Besetzung und ihren Marotten über die Bühne bis hin zu Inszenierungsdetails produziert dieser "Macbeth" vor allem Déjà-vus. So fahren auf einer schrägen schwarzen Bühne (von Katrin Brack) diesmal nicht weiße Kugellampen, sondern Girlanden auf und ab. Die Requisite musste wieder für Gaffer-Tape und abgesägte Köpfe in Plastiktüten sorgen. Und die Schauspielerinnen und Schauspieler, die in beiden Inszenierungen besetzt wurden, klingen so ähnlich, als sei zwischen den Premieren nicht ein Jahr, sondern nur eine Sekt-Pause vergangen.

Auch Van Boven setzt seine Rolleninterpretation der gesamten Familie der Lancasters, die er in "Richard the Kid" gegeben hat, jetzt als Einzelschicksal im Zentrum der Inszenierung fort. Schon dort hatte er alle Aspekte eines aufmerksamkeitssüchtigen Kindes ausgelebt, die er jetzt ohne Widerpart zum einzigen Thema der Inszenierung macht. Das ist häufig lustig und virtuos. Allein in einer Zeit, in der alle im Publikum sich im Stillen fragen, wohin die männlichen Super-Egos die Welt gerade führen und wie man ihnen beikommen könnte, wirkt die Reduktion der differenzierten Macbeth-Figur, die Shakespeare Ende des 16. Jahrhunderts zu Papier brachte, auf eine Komödienversion vom Mad Dictator inhaltlich doch arg dürftig.

Und so erzählt diese ziemlich uninspirierte Inszenierung, die gegen Ende trotz hohen Einsatzes von roter Farbe immer blutärmer wird, eher von kreativer Erschöpfung, wirkt also wie ein unfreiwilliger Kommentar auf die Gegenwart. Die Diagnose einer Gesellschaft, die sich vollkommen überfordert nur noch mit der Selbstinszenierung beschäftigt, ist aber nicht halb so interessant, wie es ein ernsthafter Versuch gewesen wäre, den Weg vom Vasall zum Verbrecher zu erklären. Shakespeare konnte das. Aber wenn man ihn nur noch als Stichwortgeber benutzt, wie es so viele unter dem Label "nach Shakespeare" heute tun, wirkt auch die Unterhaltung so welk wie das Laub, das im Schlussbild Macbeths Ende verkünden soll.

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