Fünf Favoriten der Woche:Nicht lau! Nicht kalt!

Ein kunstvolles Streamingdienst-Magazin, Bölls Gedichte, Weihnachtliches klassisch und von Mac DeMarco und Kunst zum Stöbern. Die Empfehlungen der Woche.

Von Autorinnen und Autoren der SZ

Fünf Favoriten der Woche: Das Mubi-Magazin "Notebook".

Das Mubi-Magazin "Notebook".

(Foto: Mubi)

Magazin: "Notebook" von Mubi

Wenn Streamingdienste Magazine herausbringen, die Kinokultur feiern, kann man das zynisch finden. Wobei man den auf Arthouse spezialisierten Anbieter Mubi nicht mit Giganten wie Netflix zusammenwerfen sollte. Die Liebe zum Film abseits seiner monetären Verwertbarkeit nimmt man Gründer Efe Çakarel ab. Zu dem Blog Notebook, der seinen Streamingdienst begleitet, gibt es jetzt auch ein gedrucktes Magazin. Gerade ist die Ausgabe 0 erschienen, im kommenden Jahr sollen weitere folgen, die man nicht verpassen sollte. Das Heft ist ein kleines Kunstwerk und die Themen sind so kenntnisreich kuratiert wie die Filme bei Mubi: Vom Kinosterben in Bangkok über Chancen und Probleme digitaler Filmfestivals bis zu einem Interview mit Wes Anderson - eine Plattform für Themen, die im digitalen Raum oft zu kurz kommen. Nicolas Freund

Fünf Favoriten der Woche: "Ein Jahr hat keine Zeit", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

"Ein Jahr hat keine Zeit", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

(Foto: Kiepenheuer & Witsch)

Heinrich Böll, frischer Dichter

So waren die Zeitgenossen: "Als jemand der Ingeborg Bachmann vorwarf, mit ihren Prosa-Arbeiten sei sie doch unter ihr Niveau gegangen", berichtete Joachim Kaiser, "bellte Böll zurück, um unter sein Niveau gehen zu können, müsse man erst mal eines haben." Aus genau dem Grund kann man es problemlos zu der Erkenntnis kommen lassen, dass Heinrich Böll wiederum für seine Lyrik wahrscheinlich keinen Literaturnobelpreis bekommen hätte.

Eher schön und rührend ist es, dass die präzise edierte, nur leider etwas verspannt benachwortete neue Böll-Gedichtsammlung "Ein Jahr hat keine Zeit" in dessen Hausverlag Kiepenheuer & Witsch schon von dem Teenager Böll angemessen schwüle, ungelenke Zeugnisse enthält (192 Seiten, 20 Euro). Weil man die über die katholische Kirche herfallenden Erzählerstimmen Bölls, zum Beispiel die "Ansichten eines Clowns", noch so im Ohr hat, kann man nur staunen über die Verse des Neunzehnjährigen: "da blitzet groß und leuchtend / und siegend über Schmutz / ein Kreuz, ein Kreuz erleuchtet, / nun wußt' ich wo mein Schutz." Aus solcher Kinderfrömmigkeit wird die spätere Bitternis bei Lichte betrachtet umso plausibler.

Sie trifft auch die Vaterstadt Köln, in der Böll so verwurzelt war, dass er drei bis vier eher späte Gedichte lang mit ihr schimpft und gleichzeitig die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg betrauert: "Der dunklen Mutter / durch Geschichte / nicht gebessert / steht Schmutz / gut zu Gesicht". Aber dann wird ja auch schon wiederaufgebaut und Böll persifliert eben auch hier die Geschäftstüchtigkeit der Kirche: "oh heiliger Geist /erbarme dich unser / nur noch zwanzig vom Hundert / beträgt unser Profit / erst in fünf Jahren / haben wir unser Kapital verdoppelt / heiliger Geist / bewahre uns / vor der Kostenexplosion".

Als Lyriker und Dichter bei Gelegenheit von Widmungen an Freunde und Kinder war Heinrich Böll erstaunlich kurzatmig und allem Augenschein nach relativ unbedeutend. Aber vom ungesicherten Rand seines Werkes aus sieht man den Klassiker der Nachkriegsliteratur noch einmal neu. Mit zwanzig schrieb er unter der Überschrift "Beethoven": "So hilf mir fernerhin, so heiß zu sein wie Du, / nicht lau, nicht kalt: / nicht schwülig-schleimig-wagnerisch / nicht phrasig-halb." Daraus wurde etwas. An anderer Stelle. Marie Schmidt

Mac DeMarco

Die Charts sind zu Weihnachten ja traditionell eine wilde Mischung. Harmonisch eher minimalistischer Superstar-Highscore-Pop mit Sportgesang, Nuschelraps und Soundwänden aller Art neben den ewigen Weihnachts-Hits. In diesem Jahr also in den Spotify-Top-20 etwa: Dua Lipa, Adele, Justin Bieber, Imagine Dragons, Ed Sheeran, Ariana Grande, Doja Cat, Lil Nas X neben jüngeren Christmas-Bangern wie Whams "Last Christmas" und Mariah Careys "All I Want for Christmas Is You", neben unzerstörbaren älteren Wohlfühl-Bimmelpop-Hymnen wie Bobby Helms' "Jingle Bell Rock", Brenda Lees "Rockin' Around the Christmas Tree" oder Andy Williams'" It's the Most Wonderful Time Of the Year". Zum Glück hat gerade aber auch Mac DeMarco, der König des jazzigen Slacker-Jangle-Pop, den alten Bing-Crosby-Jangle-Jazz-Hit "Coming Home for Christmas" herzerwärmend verschnarcht eingespielt. Im Video sucht ein tanzender aufblasbarer Weihnachtsbaum sein zu Hause - und findet es! Zwar nur in einem Weihnachtsbaum-Verkauf unter einer Autobahnbrücke, aber sei's drum, zu Hause ist zu Hause. Danach ist man mit dem ganzen Kram doch irgendwie mal wieder bittersüß versöhnt. Hach, diese wundervollste Zeit des Jahres. Jens-Christian Rabe

Herrnhuter Weihnacht

Fünf Favoriten der Woche: undefined
(Foto: Berlin, DDD)

Manchmal klingt es schon sehr brav. Aber es ist ja Weihnachten. Herrnhuter Weihnacht, um genau zu sein. Das Vocal Concert Dresden unter Leitung von Peter Kopp hat eine besondere Rarität ausgegraben, eine Sammlung von Weihnachtsmusiken mit Gemeindegesang, die zur böhmisch-mährischen Brüder-Kirche gehören, einer ausgestorbenen lokalen Tradition des frühen Protestantismus, der bis auf Jan Hus zurückgeht und in der Mitte des 15. Jahrhunderts an Fahrt aufnahm. Gleichsam aus Protest gegen die katholische Verfügung, nur noch Chorgesang und Responsorien zu erlauben, veröffentlichte die Gemeinschaft der Brüder-Kirche ein Gemeindegesangbuch, aus dem auch hier einige Stücke im Zusammenhang umfangreicherer Kompositionen zu hören sind. Deren Urheber, die vor allem aus dem 18. Jahrhundert stammen, kennt man heute kaum noch: Christian Gregor, Johannes Herbst, Johann Daniel Grimm oder Peter Mortimer. Es sind Musiker höchster Handwerkskunst, die im Zuge des aufkommenden Geniekultes in den Schatten der großen Meister gerieten. Zu Unrecht, wie man in dieser gelungenen Aufnahme hören kann. Das Dresdner Concert ist im Barockstil von John Gambold, der schon sehr nach Händel klingt, oder Johannes Renatus Verbeek ebenso zu Hause wie in der frühklassischen Klangwelt des David Moritz Michael. Zudem kommen hier Solisten wie die Sopranistin Christiane Wiese zum Einsatz, die wie wenige den schlanken Originalklang der Zeit beherrschen. Was in dem Solo "Den Hirten dort auf Bethle'ms Feld" beispielhaft zutage tritt. Komponiert hat das Stück Peter Mortimer, 1750 in England geboren, und in Deutschland bekannt als Autor der Schrift "Der Choralgesang zur Zeit der Reformation", veröffentlicht auf deutsch 1821 in Berlin. Man spürt auch bei ihm, wie genau die Komponisten damals ihre Kollegen studiert haben. Es ging da weniger darum, sich um jeden Preis von ihnen stilistisch abzusetzen, um eigenes originales Genie zu demonstrieren, sondern sich einer Kunstentwicklung anzuschließen, die als allgemeingültig angesehen wurde. Was den großen Vorteil hat, dass Eitelkeit nicht das Bessere verhindert zugunsten des Originellen. Dieser Geist scheint auch in dieser Aufnahme vorzuherrschen. Helmut Mauró

Jahresgaben

Fünf Favoriten der Woche: Nel Aerts Buntstiftzeichnung "Rocky Roads Ahead" (2018).

Nel Aerts Buntstiftzeichnung "Rocky Roads Ahead" (2018).

(Foto: Westfälischer Kunstverein, Münster)

Man hat sich pandemiebedingt daran gewöhnen müssen, online einzukaufen. Hat aber umgekehrt auch gelernt, ein gut aufbereitetes Angebot zu schätzen. Die Seite der Jahresgaben der deutschen Kunstvereine ist ein Who is Who der Nachwuchskünstler, die man während der endlosen Lockdown-Phasen irgendwie verpasst hat. Man kann im Angebot herumstöbern, sich aber auch einfach in die schönen Texte vertiefen. Zudem sind die meisten der angebotenen Arbeiten auch noch unerhört günstig. Und es finden sich arrivierte Namen auf der Liste - Kerstin Brätsch hat ein Seidentuch gestaltet, Gunnar Reski eine Frottage und von Michaela Melian gibt es eine genähte Zeichnung. Der Erlös fließt in die Arbeit der Kunstvereine, die - der Hinweis prangt wie ein Gütesiegel auf der Seite - inzwischen übrigens als "Immaterielles Kulturerbe" gelten. Catrin Lorch

Zur SZ-Startseite

SZ PlusWeihnachten im Flutgebiet
:Licht in leeren Häusern

Die Menschen haben unermüdlich aufgeräumt, aber immer noch liegt die Eifel voller Trümmer, viele Straßen sind verlassen. Ein Spaziergang, fünf Monate nach der Hochwasserkatastrophe.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: