Folk: „Like an Old Fashioned Waltz“ von Sandy Denny
Was für eine Stimme. Was für eine Reinheit, Leidenschaft und Melancholie! Und doch ist Sandy Denny, die die britische Folkmusik gemeinsam mit Richard Thompson in den Sechzigerjahren aus dem Schattendasein gezupfter Gitarrenmusik ins Rampenlicht des Rock stieß, heute fast vergessen. Im Sommer 1974, vor 50 Jahren, erschien ihre dritte Solo-Platte „Like an Old Fashioned Waltz“, und obwohl diese LP insgesamt nicht ihre beste ist, gibt es darauf großartig arrangierte Songs mit geradezu existenzieller und besonders für sie tragischer Bedeutung. Schon mit 18 Jahren wurde die 1947 in Wimbledon geborene Denny von der Folkszene in London entdeckt, ja fast verschlungen. Mit den Strawbs ging sie eine kurzfristige Verbindung ein, machte eine Platte mit einer Version ihres berühmten Songs „Who Knows Where the Time Goes“, die einem geradezu Gänsehaut macht. Doch schon jetzt deutete sich ihr Lebensdilemma an: Immerzu schwankte sie zwischen Solo-Dasein und Bandkarriere und ließ sich von Plattenfirmen und Managern mal in die eine, mal in die andere Richtung drängen. Nach den Strawbs wechselte sie zu Fairport Convention und machte drei Alben, die heute Meilensteine des Folkrock sind. Was Lennon und McCartney für die populäre Musik geschaffen haben, schufen Sandy Denny und Richard Thompson für den Folkrock im Besonderen. Mit Songs wie „Matty Groves“, „Fotheringay“ oder das so kraftvolle „A Sailor’s Life“ wirkte Fairport wie ein Defibrillator auf die totgesungenen englischen Folk-Weisen. Nach einem Intermezzo in ihrer ebenfalls vergessenen Band „Fotheringay“ begann dann 1971 ihre Solokarriere – und ihr trauriger Abstieg. Denny war für solo nicht geschaffen, anders als Bob Dylan war sie sich ihres großen Talents nicht bewusst. Sogar als sie mit den Mega-Stars von Led Zeppelin den Song „The Battle of Evermore“ sang (der einzige Gastauftritt, den es je bei Led Zeppelin gegeben hat), wirkte das nicht als Booster für ihre Karriere. Ihre Alben floppten, und der Alkohol wurde ihr Freund. Im April 1978 nach weiteren glücklosen Versuchen stürzte sie zu Hause– und starb Tage später an den Folgen einer Hirnblutung, 31 Jahre alt, der tragische Tod einer großartigen Sängerin. In „Solo“, einem wunderbar melancholischen Song auf „Like an Old Fashioned Waltz“, singt sie ebenso verletzlich wie stark: „We’ve all gone solo./We all play solo. /Ain’t life a solo?“ Marc Hoch
Kunst: Retrospektive Karin Kneffel in Duisburg
„Kommse rein, könnse rausgucken“, habe es ihrer Jugend im Ruhrgebiet einladend geheißen, sagt Karin Kneffel. Dass der Titel ihrer Retrospektive im Museum Küppersmühle den englischen Titel „Come in, Look out“ heißt, ist wohl dem internationalen Anspruch der Schau geschuldet. Doch ganz gleich, in welcher Sprache man es beschreibt, das Thema der Perspektive aus Räumen ins Freie, in andere Räume hinein oder einfach durch verschiedene Wahrnehmungsebenen hindurch, zieht sich durch alle 72 Gemälde und 23 Aquarelle der 67-Jährigen, die in Duisburg vereint wurden.
Kneffel, die noch bis vor Kurzem an der Akademie für Bildende Künste in München lehrte, als realistische Malerin zu bezeichnen, liegt nahe. Es ist aber auch falsch, es sei denn, man wollte alle gegenständliche Malerei auch als realistisch bezeichnen. In Wahrheit sind ihre Gemälde– die in ihren Unschärfen durchaus bisweilen an ihren Düsseldorfer Lehrer Gerhard Richter erinnern – Kompositwerke, die selten eine einzelne, konkrete Situation darstellen.
Ein Dalmatiner, der den Kopf auf dem Boden abgelegt hat, hat ihn in der Spiegelung im glatten Boden erhoben. Das Eisbärfell, das in der Mitte eines Raumes liegt, ruht auf einem Teppich, dessen Muster extrem vergrößert ist, sodass die Größenverhältnisse vollkommen verschoben sind, ebenso wie bei Kneffels Darstellungen gigantischer Trauben und Pfirsiche.
Doch es sind nicht nur Spiele mit Dimensionen und die Einladung zu inkongruenten Entdeckungen, die Kneffels Bilder so fesselnd machen. Überall ist da auch eine Ungleichzeitigkeit der Ereignisse und Zustände, eine Auffüllung vorgefundener Orte mit Dingen und Personen, die doch vor allem Assoziationen sind.
Eine Reihe von Arbeiten, die 2020 anlässlich einer Ausstellung im Krefelder Villenpaar Haus Lange und Haus Esters entstanden. Die von Mies van der Rohe entworfenen Häuser sind heute leer; Karin Kneffel füllt sie nicht nur wieder fast archivarisch mit jenen Möbeln und Kunstwerken, die ihre Räume früher schmückten. Sie findet auch ganz neue, surreale Blicke von einem Haus ins andere, suggeriert durch Spiegelungen von Lampen ein Ineinanderfließen von Innen und Außen. Ganz wie es der Titel dieser wunderbaren Schau verspricht. Alexander Menden
Film: Saleka, die singende Tochter des Horrorfilmers M. Night Shyamalan
Lady Raven bringt Teenage-Mädchen zum Weinen, zum Lachen, zum Mitsingen und zum Ausrasten. Sie füllt Stadien. Sie ist der größte Popstar überhaupt, alle blicken zu ihr auf. Denn M. Night Shyamalan, Hollywoods Spezialist für die dunkleren Seiten der menschlichen Seele, will es so. Er hat sich Lady Raven ausgedacht.
Außerdem hat Shyamalan hat eine Tochter namens Saleka, die zu Hause immer fleißig Klavier geübt hat und ein Popstar werden will, seit sie 16 ist. Sie hat auch schon Singles und ein Album herausgebracht und als Vorband für Boyz II Men gespielt. Mehr als ein 150. Platz in den iTunes-Charts von Thailand kam dabei aber bisher nicht heraus.
Und also dachte sich der alte Shyamalan wohl, Leute, es reicht mir jetzt. Meine Tochter wird jetzt all den Ruhm und die Bewunderung bekommen, die sie verdient. Ein Stadionkonzert mit Tausenden Fans, riesige Bühnenaufbauten und so fort. Ich schreibe ihr all das in mein nächstes Drehbuch. Und so wurde Saleka (die derweil 14 neue Songs komponierte) zu Lady Raven, das Rampenlicht wurde angeknipst, und der Film „Trap“ (aktuell im Kino) wurde gedreht.
Die Handlung ist, dass ein Serienkiller (Josh Hartnett) mit seiner Tochter in Lady Ravens Stadienkonzert geht und dann nicht wieder rauskommt, weil die Polizei ihn in der Menge vermutet und alle Ausgänge abriegelt. Er (und mit ihm wir Zuschauer) sind gefangen. Was zur Folge hat, dass wir unfreiwillig einem Saleka-Konzertfilm beiwohnen und (von kurzen vergeblichen Fluchtversuchen abgesehen) wirklich alle 14 Songs durchhören. Auch M. Night Shyamalan selbst hört mit. Er spielt den vor Stolz strahlenden Onkel der Sängerin.
Als Akt des Super-Nepotismus wie auch als Serienkillerfilm ist das dermaßen bizarr, dass es schon wieder ein Fest ist. Und es passiert etwas Unerwartetes: Saleka (die ein wenig wie Lady Gaga aussieht und ähnlich effektvoll mit ihren Wimpern agiert) stolziert voller Würde durch den Wahnwitz, den ihr Vater da angerichtet hat, und wächst einem dabei ans Herz. Ihr Album „Lady Raven“, pünktlich zum Filmstart auf Spotify, werden wir wohl noch mal durchhören müssen. Freiwillig. Alle 14 Songs. Tobias Kniebe