Wüstenstaub auf der Windschutzscheibe. Gewagte Auto-Stunts im gelben Sand. Die Kamera blickt auf den Fahrersitz - und zwei dunkel geschminkte Augen blicken zurück. Die Frau zupft ihren Schleier zurecht, greift nach dem Lenkrad. Doch in Erinnerung bleibt ihr Blick: sinnlich, ernst, anklagend. Diese Eindrücke aus dem aktuellen Musikvideo der Künstlerin M.I.A. zu ihrer Single-Auskopplung "Bad Girls" beschwören eine andere, ferne Welt herauf, in der eine Frau hinter dem Steuer ein Tabu ist. Eine Vorstellung, die aus westlicher Perspektive so undurchsichtig erscheint wie eine Windschutzscheibe voller Wüstenstaub.
Irgendwo zwischen Schmerz und fröhlicher Rebellion liegt das Video zu "Bad Girls". Die Szenerie ist trostlos: Backsteinbauten und leere Weite, eine einsame blaue Mülltüte an der Mauer. Die Frauen sind aktiv und kämpferisch, während die Männer des Videos passiv bleiben - am Rande der Rennstrecke aufs Zuschauen reduziert. Das Auffälligste am Video: das Tanzen. Getanzt wird überall, getanzt wird meist auf sonderbar niedliche, selbstironische Weise - ein bisschen aufreizend, aber vor allem befreit. Getanzt wird, wie getanzt werden will. In Sonnenbrille und mit Maschinengewehr in der Hand.
Denn es geht hier um mehr als eine Frau am Steuer. Es geht um eine Frau, die das Gaspedal ganz durchdrückt und eine geballte Faust aus dem Fenster streckt. Die das Lenkrad herumreißt, wenn sie Lust darauf verspürt. Die auf dem Autodach tanzt, während M.I.A. rappt: Über beschlagene Fensterscheiben, Benzin und Sex auf dem Armaturenbrett - vor der Kulisse eines Landes, in dem Frauen in den Städten noch nicht einmal einen Führerschein machen dürfen.
Heiter und bedrückend zugleich
Keine Frage: M.I.A. provoziert. Am liebsten mit Themen, die beinahe ein bisschen zu groß wirken für die Sängerin. Denn angesichts der stark aufgeladenen Bilder ihrer Musikvideos wirkt Mathangi "Maya" Arulpragagsam fast fehlplatziert: Sie gibt sich verspielt, trägt Ganzkörperanzüge in Lila und Türkis, twittert mit Vorliebe in Großbuchstaben und sorgte erst kürzlich für Aufregung, weil sie während ihres Auftritts beim Superbowl unbekümmert ihren Mittelfinger in die Kamera streckte. So hat sich Maya ein Image geschaffen, das heiter ist und bedrückend zugleich.
Mit "Bad Girls" greift die englisch-tamilische Musikerin nicht zum ersten Mal ein politisches Thema auf. Und wieder steht ihr dabei derselbe Mann zur Seite. Der Pariser Filmregisseur Romain Gavras löste schon mit dem Musikvideo zu M.I.A.s Song "Born Free" einen kleinen Skandal aus. Dort rappt die Künstlerin über Macht und Freiheit, während eine paramilitärische Einheit gezielt rothaarige Bürger zusammentreibt, misshandelt, ermordet. Gezeigt wird ein Kind, dem in den Kopf geschossen wird. Und ein junger Mann, den eine Mine zersprengt. Der unbeholfene Geschlechtsakt eines beleibten Paares, das brutal von den noch zerwühlten Laken heruntergezerrt wird. Bilder, denen niemand ausgesetzt sein sollte, entschied die Videoplattform Youtube vor etwa einem Jahr und sperrte kurzerhand das damals aktuelle Video.
"Weil ich nicht ins Gefängnis wollte"
Als das Video zu "Bad Girls" zu Beginn des Monats ins Netz gestellt wurde, erreichten die Kommentare rasch die 25.000-Marke. Hitzig diskutierten Youtube-User über Frauen in der arabischen Welt. Maya veröffentlicht daraufhin ein weiteres Video - und erklärt darin, warum der Clip zwar in Saudi-Arabien spielt, aber in Marokko gedreht wurde: "Weil ich nicht ins Gefängnis wollte." Sie sagt das und lacht. Überhaupt lacht sie viel in diesem Video - und spricht, statt über Frauenrechte, lieber über Mode und Autos und darüber, dass es ihr manchmal peinlich ist, sich vor der Kamera zu bewegen. Wie enttäuschend, diese oberflächliche Reaktion nach einem so kontrovers rezipierten Musikvideo.
Doch die 36-Jährige erntet noch mehr Kritik: "Gegner von Frauen hinter dem Steuer werden durch so ein Video nur in ihrem Glauben bekräftigt, dass es zum Programm des Westens gehört, die Moral der saudi-arabischen Frau zu verderben", schreibt eine Bloggerin aus Saudi-Arabien, die sich deutlich für den Führerschein für Frauen ausspricht. Sie sei zudem gegen dieses "Saudi bashing", schließlich sei moralisch falsch, die Hand zu beißen, die einen füttere. "Ich denke auch, dass dies ein internes saudi-arabisches Problem ist, das nicht diese Menge an Aufmerksamkeit durch die Medien benötigt", schreibt sie weiter, und meint wohl die internationalen, die westlichen Medien.
Von Maya aber kommen keine langen Reden, keine komplexen Songtexte. Stattdessen sehen wir schnelle Autos und Frauen, die schön sind und unerschrocken; wir sehen M.I.A., die darüber rappt, was böse Mädchen gerne tun: "Live fast, die young, bad girls do it well." Wir vergessen dabei nicht, dass es um ein Thema geht, das groß ist und bedeutend. M.I.A. möchte eben provozieren, aber sie möchte es tanzend und lachend tun. In diesem kulturellen Kontext aber macht sie es sich leider zu einfach.