Lyrik:Wo Elfen vereseln dürfen

Die Münchner Lyrik-Gruppe "Reimfrei" stellt sich vor

Von Antje Weber

Auf der Leinwand rattern die Buchstaben los. In blauer, roter, grüner Schrift erscheinen Wörter, Satzfetzen - ineinander, übereinander. Da irrlichtert eine "vereselte Elfe" durch den zunehmend verdichteten Text, da raunt es "Zuflüsse, Zuflüsse, es flimmert!" Wo zunächst "überschätzt" steht, schummelt jemand den Buchstaben "w" hinein, "überschwätzt" heißt es jetzt. Überschwätzt wird hier jedoch gar nichts, denn schnell ist der Textspuk vorbei: Das Video-Experiment, bei dem die Lyrik-Gruppe "Reimfrei" vor einiger Zeit simultan für ein Internet-Projekt dichtete, ist ein schön farbiger Einstieg in diesen Abend im Lyrik Kabinett.

Denn hier präsentiert sich eine Münchner Poeten-Gruppe, die sich genau die gemeinsame Arbeit an Texten zum Ziel gemacht hat, auch wenn sie einander natürlich nicht dauernd gegenseitig überschreiben möchten. Seit ungefähr elf Jahren treffen sich die elf Lyrikerinnen und Lyriker alle zwei Monate, zunächst unter dem Motto "Gulasch und Gedichte", seit 2006 unter dem Namen "Reimfrei". Wobei es keine Stilvorgaben geben soll und neben Ungereimtheiten aller Art auch Reime erlaubt sind. Einige in der Gruppe sind bereits bekannter als andere, Junge sind ebenso dabei wie etwas Ältere, veröffentlicht haben sie jedenfalls alle schon den einen oder anderen Lyrikband. Auf der Bühne stehen Karin Fellner und Frank Schmitter, Andrea Heuser und Jürgen Bulla, Augusta Laar und Sabina Lorenz, Ann-Kathrin Ast, Markus Breidenich, Armin und Christel Steigenberger und Ruth Wiebusch. Was heißt hier stehen: Die elf performen ihre Texte.

Und diese Performance lässt, wie auch Pia Leuschner vom Lyrik Kabinett als überaus engagierte Moderatorin und Dramaturgin formuliert, über eine zunehmend selbstbewusste Münchner Szene staunen, die man "nicht zu selbstverständlich nehmen sollte". Nicht nur stehen die meisten der Texte, bei aller unterschiedlichen Gewichtigkeit, recht gut für sich selbst und verraten dabei sehr unterschiedliche Zugänge zum Text (und zum Leben). Sie ergeben bei aller stilistischen und thematischen Vielfalt erstaunlicherweise sogar eine stimmige Collage. Leuschner hat sie sorgfältig so komponiert, dass die von ihr nach und nach näher vorgestellten Autoren wie beim Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, vom "Bing" einer Glocke unterbrochen, in immer neuen Konstellationen auf die Bühne steigen. Das ist nicht nur kurzweilig, sondern ergibt hübsche Gleichklänge und Kontraste - und das nicht nur, wenn Leuschner die Gruppe als "stadteigenes Alpenpanorama" lobt und Christel Steigenberger bald danach in einem Text "runterkotzen" möchte "ins Tal".

Wenn zum Beispiel Frank Schmitter ganz konkret einen Alltag mit Bohnenschnippeln beschreibt und in schöner Bildhaftigkeit den frühen Morgen als "Rohbau des Tages" bezeichnet, ist das zwar etwas ganz anderes als die flirrende Klangkunst einer Augusta Laar ("Zielgruppe: das Ohr") oder die kondensierte, fast hermetische Lyrik einer Karin Fellner, die soeben erst einen neuen Gedichtband mit dem ulkigen Titel "Ohne Kosmonautenanzug" herausgebracht hat. Doch in der Nebeneinanderstellung treten die Lyriker und ihre Texte in einen immer wieder spannenden, atmosphärisch dichten Dialog. Weshalb man nicht zustimmen möchte, wenn Schmitter in einem Gedicht klagt: "Die Karawane aus Worten setzt sich einfach nicht in Bewegung." Denn die Münchner Lyriker-Karawane hat sich im Hintergrund offensichtlich längst auf den Weg gemacht. Und wenn Fellner in einem Text fragt: "Wer flüstert uns Glanz ein?", so kann man nur antworten: Nun, genau dazu sind sie da, die Dichter. Ohne das überschwätzen zu wollen.

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