Lyrik:Mitmachgedichte

Lyrik: Lyrische Ichs: Nora Zapf, Daniel Bayerstorfer,Tristan Marquart und Annalena Roters (v. l.).

Lyrische Ichs: Nora Zapf, Daniel Bayerstorfer,Tristan Marquart und Annalena Roters (v. l.).

(Foto: Catherina Hess)

Der Text tritt aus dem Tempel und mischt sich mit Performance und bildender Kunst: Die Reihe "Meine drei lyrischen Ichs" feiert ihren vierten Geburtstag

Von Philipp Bovermann

Als "Scharnier, raus aus den Lesungen, rein in die Stadt" bezeichnet Daniel Bayerstorfer das, was sie tun. "Austauschprogramm" nennt es Nora Zapf scherzhaft. Tristan Marquart redet von "Literatur als sozialer Praxis". Und Annalena Roters redet von Kunst - wie toll es für die Künstler ist, dass ihre Bilder, Skulpturen und Installationen so lang angeschaut werden, eine ganze Lesung lang nämlich. Gemeinsam veranstaltet das Quartett eine "Reihe für neue Lyrik und Kunst". An diesem Freitag feiern "Meine drei lyrischen Ichs" ihren vierten Geburtstag.

"Rein in die Stadt" als Motto, in die umtriebige freie Lyrik-Szene, heißt umgekehrt auch: Raus aus der Nische, in der viele sie noch immer sehen. Rein in den Kellerraum des Einstein Kultur, der tatsächlich jedes Mal voll ist. Mit der Kunstwissenschaftlerin Roters, die vergangenes Jahr neu ins Team kam, wurde zudem der zweite Schwerpunkt der Reihe professionalisiert: Jede Lesung ist auch eine Kunstausstellung. Die Arbeiten sind nie nur dekoratives Beiwerk.

Einer der künstlerischen Beiträge bestand darin, dass eine riesige Maschine genau den Tisch zerstörte, an dessen exaktem Abbild anschließend gelesen wurde. Die Botschaft: Vergesst es, die Lyrik als etwas anzusehen, das angeblich keiner versteht. Es geht nicht um die Präsentation prämierter Bücher, aus denen an einem Tisch mit Sprudel und Lampe, vorgelesen wird. Ihre Macher begreifen die "lyrischen Ichs" insgesamt als Performance, in der auch das Publikum eine Rolle spielt, anstatt von der Bühne herab mit Dichterworten beschallt zu werden.

Die Lesung ist damit ein Ort des Austauschs, in disziplinärer und sozialer Hinsicht. Worte schaffen Räume - und umgekehrt. Nach der Veranstaltung bleibt das Publikum oft noch stundenlang da, um über Literatur zu quatschen. "Textwerkstätten" setzen das im Wohnzimmer von Zapfs und Bayerstorfers Apartment in Neuhausen fort. "Wenn man sich ansonsten nur drei Mal im Jahr zu den lyrischen Ichs sieht, verläuft sich das", sagt Zapf. Die Gastgeber schreiben und diskutieren auch selbst eifrig mit - wenn es sein muss bis um vier Uhr morgens, während die Ersten schon zwischen Stapeln von Zetteln schlafen.

Neben den "lyrischen Ichs" finden regelmäßig Kooperationslesungen mit anderen freien Lesebühnen statt, etwa der "Liaison" im Haus der kleinen Künste. Vergangenes Jahr legte man gar für ein bundesweites Netzwerk unabhängiger Lesereihen den Grundstein. 2018 soll es ein "Festival der unabhängigen Lesebühnen" geben, mit Teilnehmern von Zürich bis Hamburg und verschiedenen Genres zwischen Prosa und Lyrik. "Es ist kein Wunder, dass die Initiative dafür aus München kam", sagt Bayerstorfer. Literaten bei Veranstaltungen zu vernetzen ist nun mal ihr Ding.

Derzeit wählen sie die Autoren aus, die im Januar beim zweiten "Großen Tag der jungen Münchner Literatur" lesen werden. Während dort "junge" Prosa, Lyrik und Spoken Word gehört werden, zeigen die "drei lyrischen Ichs" Poeten - immer eine Münchnerin oder ein Münchner und zwei Gäste -, die gerade am Beginn ihrer Karrieren stehen. Es gilt das "einer oder keiner"-Prinzip: Wer eingeladen wird, hat höchstens einen oder noch gar keinen Band publiziert. Dennoch wollen die "lyrischen Ichs" nicht in erster Linie ein Sprungbrett auf die Podien der Literaturinstitutionen sein, sondern vielmehr Lyrik als Mitmachprojekt etablieren. Wie leicht das alles sein kann, wird bei der Geburtstagslesung der Frankfurter Poet Yevgeniy Breyger demonstrieren: Er wird aus einem Text, den man ihm vorliest, spontan ein Gedicht basteln. Dann ist es wie bei den Wohnzimmer-Textwerkstätten: Alles ist möglich und erst im Entstehen. Der Anfang ist nah. Und am Ende bleiben jede Menge Zettel liegen.

Einstein Kultur: Meine 3 lyrischen Ichs, Fr., 24. Juni, 20 Uhr, Einstein, (Halle 4), Einsteinstr. 42, 416 17 37 95

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