Lyrik:Kurz ist lang was

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In München führte ein Sommerfest die Petrarca-Preisträger aus vier Jahrzehnten zusammen. Der Preis wurde ja mal geboren, um die Lyrik aus dem Dämmerschlaf zu holen. Das Fest geriet leider: ermüdend.

Von Nicolas Freund

Wichtig war ja vor allem die richtige Inszenierung. Das galt bereits im Jahr 1975, als Peter Handke, Urs Widmer, Nicolas Born, Michael Krüger und andere Literaten den Mont Ventoux bei Avignon bestiegen, um auf dem Gipfel den ersten Petrarca-Preis für Lyrik an Rolf Dieter Brinkmann zu verleihen. Der war da schon zwei Monate tot. In London vom Auto erfasst. Eines der damals entstandenen Fotos zeigt Michael Krüger und Bazon Brock mit fliegenden Haaren in der windigen Mondlandschaft des Mont Ventoux. In den Händen halten sie Bilder von Brinkmann und Petrarca. Danach las man sich im Lavendelfeld gegenseitig Gedichte vor.

Diese erste postume Verleihung an einen Dichter war die Geburt eines wichtigen deutschen Literaturpreises, dessen Jury in den Jahren seiner unregelmäßigen Vergabe große Kenntnis der internationalen Lyrikszene bewies und schon 1981 den späteren Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer auszeichnete, es aber nicht schaffte, in fast 40 Jahren mehr als zwei preiswürdige Dichterinnen aufzustöbern.

Wie die Lyrik aus ihrer Versenkung geholt werden sollte

Michael Krüger und Gefährten erinnerten nun zwei Tage lang im Rahmen eines "Sommerfests" im Münchner Lyrikkabinett und an der Akademie der Schönen Künste an den Preis, der seit 2014 nicht mehr vergeben wird. Geschichten wie die von der ersten Verleihung gab es mehrmals zu hören, auch die offizielle Legende, wonach die Idee für den Preis in einer Schwabinger Altbauwohnung bei der Lektüre eines Petrarca-Essays entstanden sein soll. Eine Exkursion zur Buchhandlung Lehmkuhl führte damals zu der ernüchternden Erkenntnis, dass Übersetzungen spätmittelalterlicher Liebessonette schwer erhältlich sind. Da musste etwas geschehen. Wohl auch, um die Lyrik ein wenig aus ihrer Versenkung zu holen, sollte also fortan dieser Preis medienwirksam an Orten verliehen werden, die für Petrarca wichtig gewesen waren, wie eben der Mont Ventoux, über den der italienische Dichter geschrieben hatte. Oder, besonders legendär, 1977 in Tusculum bei Rom, wo tatsächlich ein kleiner Tempel für die Preisverleihung errichtet wurde und es zum Eklat zwischen dem Preisträger Herbert Achternbusch und Peter Handke kam.

Ganz unprätentiös war nun der erste Erinnerungsabend in dem Schwabinger Hinterhof gegenüber der Universität. Geladen waren Freunde und Preisträger der vergangenen Jahre. Zum Wein, der damals in Strömen geflossen sein soll, wurden Lyrikhäppchen gereicht. Der polnische Dichter Tadeusz Dąbrowski las auf Deutsch und Polnisch seine Liebesgedichte, wegen denen seine Frau "zu Tränen kam", wie er sagte. In schönem Kontrast dazu standen die aus Reihungen rätselhafter Szenen und Bilder bestehenden Gedichte des Mazedoniers Nikola Madzirov. "Ich komme vom Balkan, wo Zukunft ein Synonym für die Vergangenheit ist."

Man kennt sich hier, die Lyrikfreunde sind eine eingeschworene Gemeinschaft und einer ihrer Stars ist der große, aber unscheinbare John Burnside aus Schottland, der seine langen, narrativen Gedichte wie "Ein Himmelsbegräbnis" in schönstem schottischen Englisch las, unterstützt vom diesjährigen Büchner-Preisträger Jan Wagner, der gerade aus Frankfurt zum Petrarca-Sommer gekommen war und die deutschen Übersetzungen vortrug. Der Däne Søren Ulrik Thomsen las danach seine, wie er sie selbst nennt, "lässigen Verse", in denen kleine Alltagsszenen und Schnappschüsse um ihre Deutung werben.

Man kennt sich schon lange in Dichterkreisen. Und die Jugend? War woanders

Dieses Panorama der europäischen Lyrik war in der versammelten Spezialisten- und Liebhaberrunde etwas verschenkt. Die vielbeschworene junge Lyrikszene ließ sich an dem Abend nicht blicken und war wahrscheinlich eher im Englischen Garten oder beim "Verrückten Eismacher" um die Ecke anzutreffen. Nur eine junge Dame blätterte sich durch alle Bände am Büchertisch. Auch Jan Wagner, der nach dem Auftritt mit John Burnside seine eigenen Gedichte las, konnte trotz eines hörbuchreifen Auftritts und einer ansteckenden Neugier auf seine eigenen Texte nicht mehr junges Publikum anlocken. Den Abschluss des Abends bestritt Jürgen Becker mit seinen Reiseversen, in denen man Deutschland hören und riechen kann.

Auf die Praxis folgte am Samstag die Theorie in der Akademie der Schönen Künste. Während vor den Fenstern das Open-Air-Spektakel "Oper für alle" vorbereitet wurde, erzählten Michael Krüger und Peter Hamm anhand alter Fotos stundenlang, wer, wann, wo, was mit dem Petrarca-Preis zu tun hatte. Einer der drei Stühle auf der Bühne blieb leer, aber nicht, weil der geladene Peter Handke nicht gekommen wäre. Er zog es nur vor, im Publikum zu sitzen und den improvisierten Bericht auf der Bühne durch Zwischenrufe zu ergänzen. Für eine Gedichtlesung und längere Anekdoten setzte er sich kurz auf die Bühne und verschwand dann wieder im Parkett. Michael Krüger drohte dann nach drei Stunden mit einer Fortsetzung der Veranstaltung. Früher war zwar nicht alles besser, aber die Inszenierungen manchmal schon.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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