Süddeutsche Zeitung

Lyrik:Geschichte beschwören

Der Künstler Gerald Fiebig leitet das Augsburger Kulturhaus "Abraxas". In seinen Gedichten lässt er sich von Orten und ihrer Vergangenheit inspirieren

Von Sabine Reithmaier

Gerald Fiebig redet lieber über das "Abraxas" als über seine Gedichte. Beides hängt eng zusammen. Die Texte in dem schmalen, gut gestalteten Heft "Nach dem Nachkrieg" (Parasitenpresse) handeln vom Kulturhaus im Augsburger Stadtteil Kriegshaber, das Fiebig seit 2015 leitet. Die Verse kommen leichtfüßig daher, transportieren ihren Inhalt unmerklich. Das geht bei der Adresse los. "Diese straße heißt wie der sommer / ohne r. im august /wird manchmal der flüsterasphalt weich." Und erst viel später heißt es: "in einem monat ohne r / begann die schlacht an der somme."

"Ich finde es spannend und bewegend, an so einem Schauplatz zu arbeiten", sagt Fiebig. "Man ist noch im Kontakt mit dem, was vorher war." Ein Gebäude als Teil der Erinnerungskultur, wichtig in Zeiten, in denen allmählich die Zeitzeugen wegsterben. Und Fiebig ist längst ein Spezialist darin, mit vorgefundenem Material, sprachlichen Versatzstücken und Zitaten zu arbeiten. "Ich finde, ich erfinde nichts."

Die Geschichte des Hauses reicht zurück in die Dreißigerjahre, als die Nationalsozialisten auf der damals noch grünen Wiese begannen, Kasernen zu bauen und den Straßen dort Namen gaben, die an Schlachten des Ersten Weltkriegs erinnerten, an Kämpfe, die, so formuliert es Fiebig, die Deutschen trotz schwerer Verluste nicht explizit verloren hatten, egal ob es das Gefecht in der Nähe des belgischen Langemarck 1914 war oder die Somme-Schlacht, die von Juli bis November 1916 dauerte. "Sommestrasse, Augsburg" gibt letztlich eine Alltagserfahrung Fiebigs wieder, der oft Post öffnet, die an die Sommerstraße adressiert ist. Aber er hat nicht nur die Adresse verarbeitet, sondern auch den Muschelkalk und den roten Marmor, denn das ehemalige Offizierskasino ist mit hochwertigeren Materialien gebaut als die ehemals umliegenden Kasernen. "Aber dadurch ist das Gebäude relativ gut in Schuss, obwohl es ziemlich genau 80 Jahre alt ist."

Das Haus ist seit 2006 denkmalgeschützt mit der Begründung, man könne daran die architektonischen Elemente des "Heimatschutzstils" studieren. Während jede Kaserne der anderen gleichen musste - Modifikationen waren unerwünscht - durften die Kasinos landschaftsbezogen gebaut werden und Bayern bedeutet eben Zwiebelturm. An der noblen Innenausstattung änderten die Amerikaner, die die Kasernen nach dem Krieg weiter nutzten, wenig. Aus dem Ballsaal der Nazis wurde ein Theatersaal mit Sitztribüne. Vielschichtig das Ganze also, und dem tragen Fiebigs Gedichte auf eine ganz unnachahmliche Art Rechnung.

Den unterschiedlichen Nutzungen des Flachbaus, den die Amerikaner 1953 anbauten, hat er im Gedicht "veteranen" ein Denkmal gesetzt. Erst Kantine, dann Billardhalle, Töpferwerkstatt, Fitnessstudio. Kunstgalerie - "ein schönes Bild für die Zivilisierung der postfaschistischen Nachkriegsgesellschaft", sagt Fiebig. Und die Veteranen: "die jüngeren: generation zweiter golfkrieg/ die ältern: Vietnam. von bayern aus in den entlaubten dschungel/ sie, die hier stehen, kamen durch, kamen wieder & blieben." Augsburg war einer der größten amerikanischen Stützpunkte. Viele Amerikaner blieben. Dem wird sich eines von Fiebigs nächsten Projekten widmen mit dem Titel "Besetzt - befreit - verheiratet".

Nicht zum ersten Mal befasst sich Fiebig mit der Aufarbeitung von Geschichte. Lokalgeschichtliche Themen haben ihn schon immer interessiert. Nach dem Studium hat er, Jahrgang 1973, als Verlagslektor gearbeitet, war Mitherausgeber einer Literaturzeitschrift und eines Online-Musikfanzines. Musik, vor allem Pop, war als Inspirationsquelle früh wichtig für ihn. "Jetzt, wo Bob Dylan den Nobelpreis erhalten hat, muss man das niemanden mehr erklären." In den letzten Jahren widmete er sich verstärkt der Audiokunst, spezialisierte sich auf elektroakustische Live-Improvisation, entwickelte Installations- und Performancekonzepte für spezifische Orte. Den Weg dorthin fand der nicht ausgebildete Musiker über das Hörspiel, er hat einige für BR, WDR und ORF geschrieben. "Ich beschwöre auch hier gern Geschichte, die in Gefahr ist, vergessen zu werden." Davon zeugen in Augsburg ein Audiowalk in die Halle 116, einer potenziellen Gedenkstätte für die ehemaligen Zwangsarbeiter im Messerschmitt-Flugzeugwerk oder in Franken ein Echoraum für das 2017 eröffnete Museum in Schloss Cadolzburg.

Als geübter Veranstalter von Lesungen weiß er um die Schwierigkeit, Leute dazu bringen, eine Stunde Gedichte durchhalten. "Musik ist ein dankbarer Brückenbauer." Aber eigentlich kann man sich seine Gedichte auch gut einfach nur so anhören.

Lesung Gerald Fiebig und Adrian Kasnitz, Mittwoch, 31. Januar, 19.30 Uhr, Bücherinsel Pfersee, Augsburg

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Quelle:
SZ vom 31.01.2018
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