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Lyrik-Forscher über Werbe-Verse:Was Brad Pitt und Eminem gemeinsam haben

"Es ist keine Reise./Jede Reise endet, aber wir machen weiter./Die Welt dreht sich, und wir drehen uns mit": Diese Verse trägt US-Schauspieler Brad Pitt nicht in einem Psycho-Drama, sondern in einem Werbespot vor. Lyrik-Forscher Peter Hühn beeindrucken die Zeilen nicht - dafür findet er interessante Assoziationen.

Martin Zips

Der emeritierte Professor Peter Hühn, 73, forscht seit mittlerweile 40 Jahren am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Hamburg unter anderem zum Thema Englische Lyrik, Erzähltheorie und englischsprachige Krimis.

SZ: Herr Professor Hühn, wie beurteilen Sie als Experte für englische Lyrik das Gedicht, das der Darsteller Brad Pitt in seinem aktuellen Werbespot für ein bekanntes französisches Parfum aufsagt?

Peter Hühn: Vom Inhalt her ist das nicht sehr beeindruckend. "Es ist keine Reise./Jede Reise endet, aber wir machen weiter./Die Welt dreht sich, und wir drehen uns mit." Ja gut, da geht es erst einmal mit "wir" los, also die Menschheit insgesamt. "Pläne verschwinden, Träume übernehmen." Hier folgt das "Ich": "Aber wohin auch immer ich gehe, Du bist da./Mein Glück, mein Glaube, mein Schicksal." Das bedeutet: So wie der Star möchten wir alle sein. Und wie werden wir das? Durch einen teuren Duft, der an einem kleben bleibt.

Ist das Kunst oder nur Stümperei einer Werbeagentur? Und wie kann man das eine vom anderen unterscheiden?

Da sind die Grenzen fließend. Und warum sollte Lyrik nicht in der Werbung eingesetzt werden? Denken Sie doch mal an den Satz: "Was die Braut ist für die Trauung, ist Bullrich-Salz für die Verdauung." Das ist knapp und gut und einprägsam.

Anders gefragt: Wie unterscheidet der Lyrik-Laie einen Baudelaire von einem Bushido?

Da kann man eigentlich nur antworten: Gut ist, was einen berührt. Dieses Gedicht berührt mich nicht. Ich erkenne ein Baukastenprinzip dahinter. Die Implikationen sind klar: Traumwelt, Dauerhaftigkeit, Gemeinsamkeit. Am Ende die ein- und zweisilbige Zuspitzung.

Die Parfumfirma bestätigt: Hier hat der Werbefachmann gedichtet.

Dachte ich mir. Mich erinnert das irgendwie an den nationalistischen Viktorianer William Ernest Henley, dessen Gedicht der Attentäter von Oklahoma kurz vor seiner Hinrichtung rezitierte.

Ach, wirklich?

In dem Text heißt es sinngemäß: Ich bin mein eigener Kapitän. Alles, was die Welt tut, macht mir nichts aus, denn ich bestimme allein. Diese Bedingungslosigkeit, dieses Nicht-Tangiert-Werden-Wollen findet man auch in Pitts Gedicht. Aber das muss natürlich nichts heißen.

Obgleich es auf eine gewisse Selbstherrlichkeit verweist.

Richtig. Die Textzeile "The world turns" findet sich übrigens auch in einem Lied des Rappers Eminem. Da geht es um die Prüfungen des Lebens, die man durchzustehen hat. Also ganz ohne Parfum.

Parfums sind schließlich teuer.

Ich möchte aber schon sagen, dass mich die mit vollem Selbstvertrauen ausgedrückte Erfahrung im Gedicht von Herrn Pitt irgendwie beeindruckt. Obgleich die Trias am Ende - Glück, Glaube, Schicksal - bei mir allerlei Fragen hinterlässt.

Könnte das auch damit zusammenhängen, dass hier ein Damenduft beworben wird?

Das könnte der Punkt sein! Mein Fazit lautet: Dieses Gedicht ist zwar trivial und voller Inkonsistenzen, aber das gibt es auch bei großer Lyrik. Seine Bedeutung jedenfalls ist leicht nachzuvollziehen. Das "Immer-weiter-gehen" ist und bleibt aktuell, damit fühlt sich jeder angesprochen. Es ist ähnlich wie das Gedicht von W.H. Auden, das in dem Film "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" rezitiert wird: "Lasst schweigen die Pianos/Und die Trommeln schlagt./Bringt heraus den Sarg/Und ihr Klager klagt." So etwas passt immer. Wenn auch nur auf Beerdigungen.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2012/vks
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