Süddeutsche Zeitung

Lyrik, ernst&albern:Gelber Farn mit Jauchzergruppen

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In ihrem zweiten Gedichtband arbeitet Charlotte Warsen, die 1984 geboren wurde, mit Lautfiguren und Klangbildern, die sich der einsinnigen Bedeutung verweigern. Die Plage z.B. wird zum Strand.

Von Nico Bleutge

Diese Gedichte wirken wie guter Jazz. "Ihr Singsang hing mir lange nach", heißt es einmal. Und tatsächlich bleiben die locker gefügten "Teilstrecken" mit all ihren Lautfiguren und ihrem "büschelförmigen Klima" im Gedächtnis haften. Bisweilen erinnern sie an einen Satz von Bill Evans, er spiele einfach, Tag für Tag, Geschichten interessierten ihn nicht.

Charlotte Warsen, 1984 in Recklinghausen geboren, schreibt sich in ihrem zweiten Band an die Sprachen des gesellschaftlichen Jetzt heran, ohne je in bloßen Aussagen oder gar in Parolen zu enden. "Plage" - das können hier die Fliegen auf den Gesichtern von Menschen sein, die in Booten sitzen (und vielleicht geflüchtet sind). Es kann aber auch der Strand sein ( la plage), gemeinsamer Bezugspunkt für die Boote und jene, die zu Beginn "brotlose Schlepperbanden" genannt werden.

Die Beine können in diesen Versen "schimmernde Treibalgen" sein

Eine große Lust auf Sprachverwandlungen steckt in diesen Versen. "Fettessende Geister" werden flugs zu "Cybergeistern", wenig später kommt eine "Horde halbverwester Geister" hinzu. Das ähnelt manchmal, auch mit der Auflösung der geschlossenen Form zu frei gesetzten Zeilen, an Gedichte von Brigitte Oleschinski, wie sie etwa in dem Band "Geisterströmung" von 2004 versammelt sind. Aber wo dort meist klar umrissene Körper- und Wahrnehmungsemphasen auf die Sprache der durchtechnisierten und ökonomisch bestimmten Gegenwart treffen, ist bei Charlotte Warsen alles ein wenig offener. Sie stellt hochintensive sprachliche Figuren zu Gruppen zusammen, "Seufzergruppen" und "Jauchzergruppen". Die Beine können hier "schimmernde Treibalgen" sein, und die Seele ist "evtl. gelber Farn".

Diese Sprachbilder verweisen immer noch auf Weltmomente, wollen aber nichts mehr im traditionellen Sinne abbilden. Sie unterlaufen jede eindimensionale Vorstellung von Bedeutung. In Loops und Variationen setzt sie einzelne Sätze und Satzteile in immer neue Sprachumgebungen, wo sie mal eine inszenierte Albernheit entfalten, mal eher Klangideen folgen. Das Verhältnis zur Tradition ist dabei raffiniert ironisch gebrochen. "Ich schien mir / eine makabre Position zwischen den Überlieferten und einer Parodie dieser Idealgestalten / einzunehmen". So ist es um Astern à la Gottfried Benn "geschehen zurzeit". Und T. S. Eliots Vers "Sommer (...) kam über den Starnberger See" aus "The Waste Land" ist nur noch in einer Schwundform möglich: "ich wähnte mich lallend am Starnberger See". Bei alledem sind die albernen und lautgetragenen Stellen kein Selbstzweck. Im Innersten der Verse pulst ein Ensemble "ethischer Fragen". Die Gedichte bilden einen "doppelten Kreislauf" im Schreiben, der diese Fragen in verschiedenen Variationen durchspielt. Das Schöne an ihnen ist, dass sie keine Antworten geben, sondern spürbar machen, was "Angsteinheiten" sind. Und was es heißen könnte, wenn keiner mehr glücklich ist - und alle sich weigern, "wirklich zu lieben".

Charlotte Warsen: Plage. Gedichte. Verlag K ookbooks, Berlin 2019. 104 Seiten, 19,90 Euro.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2019
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