"Lust For Life" von Lana Del Rey:Donald Trump aus dem Amt hexen

Lana Del Rey

Sieht man hier schon rechtschaffenen Zorn in diesem Blick? Lana Del Rey im Jahre 2017.

(Foto: Neil Krug/Universal Music)

"Ist das das Ende von Amerika?" Auf ihrem neuen Album entwickelt Lana Del Rey, die regierende Retrokönigin des Pop, plötzlich ein politisches Bewusstsein.

Von Jan Kedves

Aufwachen, Lana! Du kannst nicht weiter herumdösen! Niemand erwartet von dir, beim Women's March in Washington oder bei der nächsten Black-Lives-Matter-Parade mitzulaufen. Aber schau dich doch mal um, was draußen los ist in der Welt!

Appelle dieser Art müssen Ende vergangenen Jahres, nach der Wahl in den USA, durch Lana Del Reys Kopf gehallt sein und dort - so wie in den Köpfen vieler anderer Popstars, die bislang eher nicht für ihr politisches Bewusstsein bekannt waren - einen Schalter umgelegt haben. Seit ihrem Debüt mit dem Hit "Video Games" Ende 2011 war die New Yorker Sängerin, die bürgerlich Elizabeth Woolridge Grant heißt, ja mit einer Kunst erfolgreich, die als unpolitisch gilt. Nämlich damit, das verträumte All-American Girl zu geben. Ein weißes Mittelstandsmädchen, das entweder bekifft oder anderweitig leicht narkotisiert ist und in einer Art permanentem Dämmerzustand leichte Songs über Blue Jeans, hübsche Millionäre, Diät-Limonade, Flitterwochen in Hollywood und andere amerikanische Harmlosigkeiten eher säuselt als singt.

Del Reys nostalgische Orientierung an den Shangri-Las, an Nancy Sinatra, an Sängerinnen der frühen und mittleren Sechzigerjahre wurde erst dadurch interessant, dass ihr Auftreten meist so merkwürdig verlangsamt, ja fast ein wenig automatenhaft erschien. Man dachte, dahinter stecke ein Konzept: Will die Künstlerin andeuten, dass sie sich sehr wohl dessen bewusst ist, dass sie eben kein Original aus der Vergangenheit ist, sondern eine Reanimation? Eine nicht ganz menschliche Reanimation zumal. Dazu schien zu passen, dass Del Reys Gesicht seltsam plastisch wirkte, mit dieser womöglich chirurgisch korrigierten Nase und den extraschmolligen Lippen.

Den ersten Hinweis darauf, dass diese Bombshell der Retromanie aber eben doch keine robotische Stepford-Wife ist, gab es im Februar, als Lana Del Rey kundtat, sich an einem von oppositionellen Okkultistinnen abgehaltenen landesweiten Ritual zu beteiligen: Donald Trump sollte während des abnehmenden Sichelmonds zur Mitternacht aus dem Amt gehext werden. Das Ritual wirkte nicht, aber es bereitete auf "Lust For Life" (Universal) vor, das vierte Album von Lana Del Rey, das ihre politische Erweckung beweist. Man könnte natürlich fragen: Geht das überhaupt, dass eine Kunstfigur, die Lana Del Rey ja zweifellos ist, ein politisches Bewusstsein entwickelt? Aber hören wir erst mal hin.

Einmal scheint sie ihre nostalgietrunkenen Fans fast zu verspotten

Da ist zum Beispiel der hübsch elegische, mit sanften Paukenschlägen in Schwung gehaltene Eröffnungssong "Love", in dem die 32-Jährige das Jung- und Verliebtsein preist, aber zugleich kleine Irritationen einbaut. Es gibt ein sehr schönes Video zu diesem Lied, das auf Youtube bereits 73 Millionen Mal angesehen wurde: Sorglose Teenager verschiedener Ethnien knutschen nachts in alten Heckflossen-Straßenkreuzern herum und beobachten die Sterne im Himmel. Eine doppelte Hollywood-Referenz - einmal an die nächtliche Szene aus "Denn sie wissen nicht, was sie tun" (1955), in der James Dean und Natalie Wood vom Griffith-Observatorium hoch über Los Angeles in den Sternenhimmel schauen; und dann an die Szene aus "La La Land" (2016), in der Ryan Gosling und Emma Stone genau diese Szene an identischer Stelle nachspielen.

Ein Zitat im Zitat also. Wobei die Tatsache, dass Lana Del Rey in ihrem Musikvideo immerhin ein paar nichtweiße Teenager mitknutschen lässt, darauf hindeutet, dass sie ihre Lehren aus der Diskussion um die unerträgliche Weißheit von "La La Land" gezogen hat. Die Fifties sollen hier bitte nicht originalgetreu wiederaufgebaut werden. Weswegen Lana Del Rey in der ersten Strophe des Songs ihre nostalgietrunkenen Fans auch fast ein wenig zu verspotten scheint, wenn sie nämlich sinngemäß singt: "Seht euch doch an, ihr Kinder, die ihr immer nur alte Vintage-Musik hört. Ihr steckt so tief in der Vergangenheit, und doch seid ihr die Zukunft." These: Lana Del Rey ist unruhig geworden, als ihr klar wurde, dass ihr Act ästhetisch auf genau die Zeit rekurriert, die auch Donald Trump mit seinem Slogan "Make America Great Again" heraufbeschwört. Eine Zeit, in der in vielen Teilen der USA trotz Abschaffung der Rassentrennung noch immer Segregation herrschte, in der Frauen am Herd zu stehen hatten, in der Homosexuelle im Gefängnis landeten. Das klassische Problem von Retro-Pop-Acts also: dass sie Zeiten aufleben lassen, die man sich lieber nicht komplett zurückwünscht, auch wenn man sich an einigen ihrer ästhetischen Ausprägungen gerne labt.

Sabotierter Patriotismus und feministische Statements

Eine Band, die mit diesem Problem immer sehr überzeugend umgegangen ist, sind die New-Wave-Popper The B-52's. Die sangen auf ihren ersten Alben 1979 und 1980 naiv augenzwinkernd über Lavalampen, aus dem Ruder laufende Teenie-Bopper-Partys, die Queen von Las Vegas und allerlei andere in den Fifties und Sixties verwurzelte weiße Americana. Aber da war eben auch der Kampfbomber im Namen, der anzeigte, dass die alte Zeit insgesamt nicht zur Romantisierung taugt.

"Ist das jetzt das Ende einer Ära, ist das das Ende von Amerika?"

Einen neuen Namen, der kritische Distanz zu ihren Sujets und Sounds anzeigt - Lana Del Radioactive Ray? -, kann sich Lana Del Rey nun nicht mehr ausdenken. Aber sie tut auf "Lust For Life", was sie kann. Zum Beispiel versucht sie, nicht nur hier und da einen Hip-Hop-Beat zu sampeln, so wie sie das sonst gemacht hat, um etwas Frische in ihren Retro-Entwurf zu bringen. Sondern sie will diesmal mit afroamerikanischen Künstlern in Dialog kommen: Der Song "Summer Bummer" mit den Rappern A$AP Rocky und Playboi Carti zelebriert das Tragen von Basketball-Schuhen im Sommer, Tätowierungen im Gesicht und das Schwimmen nicht im Wasser, sondern im Geldtresor - nun ja, nicht unbedingt ein Highlight des Albums, aber zumindest gibt es den Song. Dafür ist der Titelsong "Lust For Life", dessen Titel wiederum ein Zitat ist aus Iggy Pops und David Bowies gleichnamigem Hit von 1977, ein sehr gelungenes, in cineastischem Breitwandsound gemischtes Duett mit dem hoch im Falsett barmenden R&B-Sänger The Weeknd.

Auch ist da "God Bless America - And All Beautiful Women In It". Ein Western-Song, dessen impliziten Patriotismus Lana Del Rey direkt sabotiert, nämlich indem sie den Worten "God Bless America" laute Gewehrsalven folgen lässt - merke: Nationalstolz schlägt sich Bahn in Form von Krieg und Gewalt, bumm-bumm. Schlecht! Nach diesem perkussiven Geballer konkretisiert sie dann, wer genau hier eigentlich gesegnet werden soll, nämlich: alle schönen amerikanischen Frauen. Womit Lana Del Rey natürlich nicht sagen will, dass nur gut aussehende Amerikanerinnen der Segnung würdig sind, sondern sie sagt: Alle Amerikanerinnen sind schön. Es ist ihr feministischstes Statement bislang. In Zeiten, in denen fast keine Frau in Trumps frauenfeindlicher Regierung sitzt, kann man es nur als Kommentar zur Lage lesen.

Und ja, das ist dann eben sehr faszinierend: wie Lana Del Rey sich klanglich weiterhin geradezu obsessiv an alten Vintage-Sounds orientiert - in einem Gespräch mit Courtney Love, das vom britischen Magazin Dazed veröffentlicht wurde, erzählte sie, wie sehr sie bei der Produktion von "Lust For Life" auf das sogenannte Slap-Back-Echo Wert gelegt habe, das es bei Elvis häufig gab. Wie sie diese Audiophilie aber mit einem neuen klaren Blick für die aktuellen Bedrohungen verbindet.

Am eindringlichsten gelingt dies in "When The World Was At War We Kept Dancing", einem geradezu hippiehaften Folksong, in dem sie fragt: "Ist das jetzt das Ende einer Ära, ist das das Ende von Amerika?" Den Jungs empfiehlt sie jedenfalls schon mal vorsorglich: Vergesst nicht euer Spielzeug, wenn ihr in die Fremde fahrt, aber macht dort bitte nicht so viel Unordnung, okay?

Könnte es sein, dass sich Lana Del Rey hier schon zur Truppenbetreuung nach Iran oder Libyen oder Nordkorea fliegen und vor stationierten GIs oder Blackwater-Söldnern auftreten sieht? Sicher ist auf jeden Fall: Lana Del Rey ist keine Retro-Sängerin mehr.

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