Lust auf Mathematik:Kleiner europäischer Siebenstern

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Geschichten aus der Mathematik, die von einer spannenden Welt hinter den abstrakten Zahlen erzählen.

Von Hubert Filser

Eine gewisse Nähe zu Zahlen erwartet man von Mathematikern, sie sind schließlich ihr tägliches Handwerkszeug. Der Grad der emotionalen Annäherung an eine Art tieferes Wesen dieser mentalen Konstrukte, dem man in Albrecht Beutelspachers Buch "Null, unendlich und die wilde 13" begegnet, ist dann aber doch erstaunlich. Die Drei etwa sei eine "in sich stimmige Zahl", schreibt der Gießener Mathematikprofessor, sie helfe, dass die Welt wieder zusammenwachse. Mit der Zwei dagegen zerfalle sie in Teile. "Während die Eins nicht über den eigenen Horizont hinausschaut und die Zwei ein explosives Gemisch ist, ruht die Drei in sich selbst." Beutelspacher, Erfinder und Gründer des "Mathematicums" in Gießen, hat eine Hommage an die Welt hinter den abstrakten mathematischen Objekten geschrieben. Seine Geschichten erzählen zwar auch von den rein mathematischen Eigenschaften der Zahlen, doch mehr noch gesteht er ihnen ein Wesen zu. Eine Zahl mache vor allem auch die Geschichten interessant, die über sie erzählt werden, so Beutelspacher. In den meist wenige Seiten langen Episoden zu einzelnen Zahlen will er die Tür öffnen in ihre außermathematische Bedeutungswelt. Zahlen sind nicht nur nützlich, sondern eben auch schön oder gar geheimnisvoll.

In Beutelspachers Wahrnehmung können Zahlen sogar eine wohltuende Wirkung entfalten. Die Sieben etwa tue uns Menschen richtig gut, und das, obwohl die Natur die Zahl Sieben eigentlich gar nicht kenne. Es sei "die Zahl, die es nicht gibt". Es gebe nur eine Pflanze, die sieben gleichberechtigte Blütenblätter habe, der "Kleine europäische Siebenstern". Ansonsten existieren keine Hinweise, die diese Zahl schlüssig erscheinen lassen. Dennoch falle jedem Menschen zur Zahl Sieben etwas ein: Schneewittchen und die sieben Zwerge, die sieben Geißlein, die sieben Weltwunder, die sieben Tage einer Woche. Auch die Religion nutzt die Zahl: Es gibt sieben Todsünden und sieben Sakramente. Fragt man, ob etwas Empirisches hinter dieser Zahl steht, sagt der Mathematiker: Nein. So ist es zumindest erstaunlich, dass sie die Basis für so ein fundamentales Konstrukt wie die Woche bildet. Die Astronomie sagt uns, was ein Tag ist (die Erde dreht sich um die eigene Achse), was ein Monat ist (zwischen Neumond und Neumond) und was ein Jahr ist (die Erde bewegt sich einmal um die Sonne), aber nicht, was eine Woche ist. Beutelspacher lässt solche aus seiner Sicht erstaunlichen Dinge auf seine Leser wirken, die Erklärungen der Bedeutung bleiben da manchmal vage. Das ist ungewöhnlich für einen Mathematiker. Zur Sieben schreibt Beutelspacher: "Vielleicht liegt ein Grund darin, dass 7 die Zahl ist, die unmittelbar auf die 6 folgt. Die Zahl 6 ist in jeder Hinsicht eine vollkommene Zahl, man kann sie in zwei und in drei Teile aufteilen, sie ist "rund" und in sich perfekt stimmig." Als wirklich erhellend mag man das nicht empfinden, aber angesichts der Anekdoten fallen solche dünneren Erklärungen insgesamt nicht ins Gewicht.

Nach den klassischen Zahlen nimmt sich der Mathematiker im zweiten Teil des Buches auch besonderer Zahlen wie der 42 (Die Antwort auf alle Fragen), der 1679 (Eine Zahl für Extraterrestrische) oder der geheimnisvollen Kreiszahl Pi an. Hier wechselt der Fokus des Buches, und vorwiegend werden mathematische Denkweisen und Prinzipien erklärt, in deren Zentrum dann die jeweilige Zahl steht. Man kann einfach nur blättern und an beliebiger Stelle in die Welt der Zahlen eintauchen, wie in einer Fundgrube nach Schätzen graben und seine Lieblingszahl entdecken .

Albrecht Beutelspacher : Null, unendlich und die wilde 13. C.H. Beck Verlag, München 2020. 18 Euro.

© SZ vom 11.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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