Süddeutsche Zeitung

Luljeta Lleshanaku:Blick auf die Alte Welt

Für einen Außenseiter ist ein Besuch Europas wie ein Besuch bei den Großeltern; alles, was man zu tun hat, ist zuzuhören. Die Alte Welt hat schon alles überlebt, weiß alles. Mit ihren Städten, die auf anderen Städten erbaut sind, Zivilisation über Zivilisation, Hoffnungen über Hoffnungen, und Leiden, das sich in Weisheit verwandelt hat. Wo alles definiert ist, wörtlich und metaphorisch, so dass du keinen einzigen Nagel mehr einschlagen kannst. Du kannst Fotos von dir selbst machen, neben der Statue von David in Florenz, du kannst Stücke der Berliner Ex-Mauer kaufen (dass sie nicht echt sind, ist egal), weil du das Gefühl verstehen willst, dazuzugehören, das "Ich bin ein Berliner"-Gefühl, eine gemeinsame Identität, geformt von geteilten Werten.

"Ein sauberer und großzügiger Ort", das war auch das Bild syrischer Flüchtlinge von Europa. Um sie aufzuhalten, wurden wieder neue Grenzzäune in Europa errichtet, so dicht, als sollten sie Hasen fernhalten. Sie schmerzen wie alte Narben bei schlechtem Wetter oder erinnern an das bittere Epigramm von Franz Grillparzer: "Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität". Die Frage ist: Was lehren wir zur Zeit die Welt?

(Aus dem Englischen von Antje Weber)

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Quelle:
SZ vom 14.11.2018
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