Süddeutsche Zeitung

Karikaturist Luis Murschetz wird 85:Leise Entlarvungen

Kaum einer zerlegt die Floskeln der Politik und Absurditäten des Lebens mit so viel Geschick: Der Karikaturist und Zeichner Luis Murschetz hat die SZ mitgeprägt. Nun wird er 85 Jahre alt.

Von Kurt Kister

Vicco von Bülow, aka Loriot, hat auf die ihm manchmal gestellte Frage, was denn eigentlich einen Künstler von einem Karikaturisten unterscheide, gern geantwortet: Der Künstler schneide sich gelegentlich ein Ohr ab, was der Karikaturist nicht tue, weil er sich für solche Dinge keine Zeit nehme. Luis Murschetz, ein Künstler, der als Karikaturist arbeitet, ist einerseits entschieden zweiohrig geblieben. Andererseits hat er als Zeichner und Buchautor, als Karikaturist und sogar als Träger des Bundesverdienstkreuzes sowie des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, zu Lebzeiten bisher eindeutig mehr Beachtung und Respekt erfahren als mancher Künstler, zumal jener Einohrige zu dessen Zeiten.

An diesem Donnerstag wird der gebürtige Steiermärker Luis Murschetz 85 Jahre alt. Er zeichnet seit 1967, also seit 53 Jahren, für die Süddeutsche einmal in der Woche eine meistens politische Karikatur; im Laufe der Jahre hat er außerdem viele andere, manchmal kleine grafische Sachen entworfen, die als Logos, Signets und was es dergleichen mehr gibt, die SZ prägen. Die gedruckte Zeitung wäre ohne Murschetz' Manderln, wie er die Figuren aus seiner Feder gelegentlich nennt, eine andere. Murschetz ist nicht nur ein großartiger Zeichner, er ist außerdem auch noch einer, der einem einfällt, wenn man gefragt wird: Wer oder was hat zum Wesen der SZ entscheidend beigetragen?

Weil die Zeitung ohnehin stets dabei ist, eine andere zu werden, manchmal weil es sein muss, manchmal auch nur, weil es sich für die Veränderer irgendwie besser anfühlt, ist es gut, wenn es Kontinuitäten gibt. Viele Leserinnen und Leser mögen solche Kontinuitäten, und sie mögen sie vielleicht sogar lieber als dies manche Redakteurinnen und Redakteure tun, zu schweigen von den Humorexperten anderer Medien. Zu den ewigen Gesetzen einer Zeitung, egal ob man sie im Briefkasten findet oder auf einem Bildschirm erscheinen lässt, gehört, dass in Redaktionskonferenzen seit Jahrzehnten von "den" Jungen gefordert wird, dass man endlich dies und vor allem das grundlegend erneuern müsste. Nach einiger Zeit merken die Jungen dann, dass sie älter geworden sind, weil die neuen Jungen verlangen, dass es "endlich" grundlegende Reformen der Reformen geben sollte. Ja, so ist das Leben. Und wenn einem dabei das Leben mehr als ein halbes Jahrhundert lang von Murschetz karikaturistisch beleuchtet und erläutert wird, fühlt es sich irgendwie besser an.

Murschetz steht in der Tradition des Südtiroler Künstlers (und Karikaturisten) Paul Flora, der Murschetz' Freund und Mentor war. Flora brachte Murschetz 1971 als Karikaturisten zur Wochenzeitung Die Zeit , wo Murschetz auch fast 40 Jahre lang zeichnete, oft auf der Seite Eins, bevor er, mutmaßlich wegen der Reform einer Reform, aufhörte. Wie Flora versteht es Murschetz durch Schraffierungen und wohlgesetzte Striche die Welt nach Belieben heller oder dunkler zu machen, sie aber dennoch schwarz-weiß abzubilden. "Schwarz-weiß ist für uns Strichzeichner ideal", sagte Murschetz in einem Interview, "die Feder ist das perfekte Werkzeug".

Die Beleidigung qua Feder, Zeichenstift oder Grafikprogramm ist nicht sein Ding

Der Farbe ist er allerdings keineswegs abhold, was sehr viele Kinder und Eltern wissen, die Murschetz' Buch "Der Maulwurf Grabowski" kennen. Grabowski ist eines von mehreren Tier-Kinderbüchern, die Murschetz gezeichnet und geschrieben hat. Ursprünglich hat er sie für seine Tochter Annette gemacht, die heute als hochgelobte Bühnenbildnerin und Illustratorin in Wien tätig ist. Der Maulwurf erschien erstmals 1972 und erzählt eine Geschichte, die nie alt wird: Grabowskis Wiese, die er mit heiterem Gemüt unterwühlt, wird Baugrund, finstere Baggerführer kommen und Grabowski muss auswandern, was für einen mäßig scharfsichtigen Maulwurf nicht unproblematisch ist. Anders als meistens im wirklichen Leben geht die Sache für den Maulwurf gut aus, woraus man lernen kann, dass Murschetz ein großes Herz hat und Tiefgaragen eher böse sind.

Murschetz ist Zeit seines Lebens ein großer Leser geblieben, was für gute Karikaturisten ähnlich wichtig ist wie für gute Autoren und Schreiberinnen. Eines seiner Markenzeichen besteht darin, Redensarten mit politischen Vorgängen zu verknüpfen und dies dann zeichnerisch umzusetzen. Da Floskeln unsterblich sind und von Generation zu Generation weitergetragen werden (man lausche nur aufmerksam Robert Habeck oder Jens Spahn), bleibt die Visualisierung des Zurückruderns, des Elefanten im Porzellanladen, des Lichts am Ende des Tunnels oder ähnlicher Phrasen heute so aktuell wie vor 40 Jahren.

Luis Murschetz ist ein leiser Mann mit starken Meinungen, die er aber nie laut vorträgt. Die Beleidigung qua Feder, Zeichenstift oder Grafikprogramm ist nicht sein Ding. Auch Ironie versteht er eher als etwas Leises, das man nicht auf einer Bühne vorträgt, um damit Gelächter zu provozieren. Murschetz reißt niemandem die Maske vom Gesicht, aber er hilft gerne und höflich beim Entlarven.

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