Barragán-Archiv in Weil am Rhein:Sinnlicher Moderner

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: Ikone der Architekturgeschichte: die Hofanlage von Luis Barragán und Andrés Casillas im Großraum Mexiko-Stadt aus den Jahren 1966-1968.

Ikone der Architekturgeschichte: die Hofanlage von Luis Barragán und Andrés Casillas im Großraum Mexiko-Stadt aus den Jahren 1966-1968.

(Foto: Armando Salas Portugal /Barragan Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Jahrelang war der Nachlass des berühmtesten Architekten Mexikos, Luis Barragán, nur schwer zugänglich. Das ändert sich jetzt. Die Geschichte einer Entdeckung.

Von Laura Weißmüller

Nüchtern, das ist der erste Eindruck der neue Barragán Gallery in Weil am Rhein. Auf weißen Wänden sind da Reproduktionen angebracht, von alten Architekturmagazinen, von Plänen, Grundrissen und Skizzen, überwiegend in Schwarz-Weiß. Es gibt zwar auch Farbfotografien, aber ihr Format ist erstaunlich klein. Fast so als hätte man hier ein wenig Angst vor der Kraft, die sie entfalten könnten. Groß und in Farbe und im Original.

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: Keine Angst vor Farben: Das Haus Valdés in Monterrey entwickelten Luis Barragán und sein Büropartner Raúl Ferrera 1981-1986.

Keine Angst vor Farben: Das Haus Valdés in Monterrey entwickelten Luis Barragán und sein Büropartner Raúl Ferrera 1981-1986.

(Foto: Barragan Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Dabei handelt es sich doch um das Werk von Luis Barragán, dem großen poetischen Farbmaler in der Architektur des 20. Jahrhunderts. Seine geometrisch klare Formensprache tauchte er nicht selten in leuchtendes Rosa, Gelb und Orange. In Violett, Blau und Rot. Der International Style bekam bei ihm einen Farbanstrich, der die Codes der kühlen Moderne mit einer Sinnlichkeit umfing, die einzigartig war und auf den ersten Blick klarmachte, dass hier jemand seinen eigenen Weg wählte. Oder etwa nicht?

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: Machte sein Diplom an einer Ingenieursschule: Luis Barragán im Jahr 1963.

Machte sein Diplom an einer Ingenieursschule: Luis Barragán im Jahr 1963.

(Foto: Ursula Bernath/Barragan Foundation)

Luis Barragán, geboren 1902 im mexikanischen Guadalajara und gestorben 1988 in Mexiko-Stadt, ist in gewisser Weise der große Unbekannte unter den berühmtesten Architekten des vergangenen Jahrhunderts. Und das, obwohl der Sohn wohlhabender Gutsbesitzer im Jahr 1980 mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, der weltweit wichtigsten Ehrung in Sachen Baukunst. Barragán war der zweite Preisträger überhaupt, der die Auszeichnung erhielt. Ihm folgten in den Achtzigerjahren so illustre Namen wie Frank Gehry, Oscar Niemeyer und Gottfried Böhm. Wer den Preis bekam, hatte es in den Architektur-Olymp geschafft. Der Auszeichnung folgten Bauaufträge, weitere Ehrungen und vor allem die lange Zeit fast uneingeschränkte Bewunderung an den Hochschulen.

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: Weltberühmte Aufnahme: Die Treppe in der Bibliothek von Luis Barragáns Wohnhaus an der Calle Francisco Ramírez 14 in Mexiko-Stadt. Inszeniert von seinem favorisierten Fotografen Armando Salas Portugal etwa 1951.

Weltberühmte Aufnahme: Die Treppe in der Bibliothek von Luis Barragáns Wohnhaus an der Calle Francisco Ramírez 14 in Mexiko-Stadt. Inszeniert von seinem favorisierten Fotografen Armando Salas Portugal etwa 1951.

(Foto: Armando Salas Portugal/Barragan Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Bei Luis Barragán ist das nicht so. Die wenigen Bücher, die es über den mexikanischen Architekten gibt, sind überwiegend vergriffen und nur teuer im Antiquariat zu erstehen. Die letzte große Ausstellung, die sein Werk beleuchtet hat und die um die ganze Welt tourte, ist nun fast 20 Jahre her. Macht an die vier Generationen von Architekturstudierenden, deren Auseinandersetzung mit Barragán zumindest lückenhaft ist. Warum? Das ist eine lange, mitunter tragische, manchmal auch von Enttäuschungen gezeichnete Geschichte, die nicht zuletzt um eine hochpolitische Frage kreist: Wer hat das Recht, kulturelles Erbe - denn darum geht es bei einer Figur wie Barragán in der Architekturgeschichte, aber auch für ein Land wie Mexiko - zu verwalten, sprich zu entscheiden, wer es beforschen darf und wer eben nicht?

"In Mexiko hat sich niemand dafür interessiert"

Rein rechtlich darf das seit 1995 die kleine Barragan Foundation mit Sitz im schweizerischen Birsfelden bei Basel, die den Nachlass des Architekten erhielt, nachdem der in New York von einem Galeristen verkauft wurde. "In Mexiko hat sich niemand dafür interessiert", sagt Martin Josephy. Er ist Kurator des Barragán-Archivs und hat schon als Hilfskraft bei der großen Barragán-Ausstellung Anfang der Nullerjahre mitgearbeitet. Seitdem widmet sich der Architekt und Architekturhistoriker der "Beforschung des Archivs". Man glaubt Josephy sofort, dass er das Archiv "in- und auswendig" kenne. Die Barragan Foundation sei "wirklich in die Tiefe" gegangen und "erstaunlich weit gekommen" in der Analyse des Werks von Barragán, zu dem sie mittlerweile 170 Projekte identifiziert haben, fast alle in Mexiko.

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: Die Aufarbeitung eines Architektennachlasses bedeutet viel Arbeit. Detailansicht aus dem Barragán-Archiv.

Die Aufarbeitung eines Architektennachlasses bedeutet viel Arbeit. Detailansicht aus dem Barragán-Archiv.

(Foto: Lake Verea/Barragan Foundation)

Und darin liegt das Problem. Während in Birsfelden das architektonische Werk von Barragán akribisch aufgearbeitet wurde, Handskizzen miteinander verglichen, Briefwechsel studiert und fotografische Blickwinkel von Armando Salas Portugal, dem favorisierten Fotografen des Architekten, dessen Nachlass ebenfalls die Foundation besitzt, analysiert wurden, hatte die restliche Welt, allen voran Mexiko, darauf kaum Zugriff. Man arbeite zwar an der Digitalisierung des Archivs, aber bislang sei "die Datenbank noch rudimentär", gibt Josephy zu. "Die Leute denken immer, mit dem Computer gehe es auf Knopfdruck, aber auch das muss man tun." Vor allem: "Falsche Datenbankeinträge reproduzieren sich." Es ist dies die ehrenvolle Haltung eines Kunsthistorikers, der alles korrekt machen will, dabei aber übersieht, dass die Foundation über Jahre die Auseinandersetzung mit dem Werk von Luis Barragán erschwert hat. Was heute nicht digitalisiert ist, dazu wird nicht geforscht. Vor allem, wenn es für eine mexikanische Architekturstudentin bedeutet, dafür extra in die Schweiz kommen zu müssen.

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: Barragán war ein Meister des Lichts und damit Inspirationsgeber für nachfolgende Architekten wie Tadao Ando. Kapelle des Kapuzinerinnenklosters in Tlalpan, Mexiko-Stadt, 1954-1963.

Barragán war ein Meister des Lichts und damit Inspirationsgeber für nachfolgende Architekten wie Tadao Ando. Kapelle des Kapuzinerinnenklosters in Tlalpan, Mexiko-Stadt, 1954-1963.

(Foto: Armando Salas Portugal/Barragan Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

"Wir sind nicht glücklich darüber, dass es so lange gedauert hat", sagt Martin Josephy. Seit Jahren würden sie selbst die Erscheinung des Werkverzeichnisses von Luis Barragán für "das nächste Jahr" ankündigen, publiziert ist es immer noch nicht. "Das ist wie bei der Büchse der Pandora: Wenn man sie aufmacht, kommt sehr viel raus." Ursprünglich sei geplant gewesen, zu jedem Projekt von Luis Barragán ein, bis zwei Abbildungen zu zeigen, jetzt laute das Ziel, alles, was es zu dem jeweiligen Projekt gibt. Das "ominöse Buch", wie Josephy es selbst nennt, ist mittlerweile auf 2000 Seiten angewachsen.

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: Brachte offenbar die Moderne nach Mexiko: der Architekt Barragán, hier eine Visualisierung der Autobahnausfahrt, 1957-1962.

Brachte offenbar die Moderne nach Mexiko: der Architekt Barragán, hier eine Visualisierung der Autobahnausfahrt, 1957-1962.

(Foto: Barragan Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Und deswegen ist es eine wichtige Nachricht, dass das Barragán-Archiv - was 13 500 Zeichnungen, Pläne und Dokumente umfasst sowie eine etwa gleich große Fotosammlung und eine Reihe von Modellen, Möbeln und Objekten - in das Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein überführt wurde und damit zum ersten Mal dem Publikum zugänglich gemacht wird. "Wir möchten das Zentrum des Barragánismus sein", sagt der Archivar Matthias Pühl, der sich nun mit dem Nachlass, mit Archiv-Anfragen und der Digitalisierung beschäftigen wird.

Angeschlossen an die beiden Ausstellungsräume gibt es einen Study Room für Forschende und einen Archivraum, wo in koboldblauen Holzschränken die Originale aus dem Architektennachlass des Büros Barragán und Ferrera lagern, während in Umzugskartons noch die Fotografien von Armando Salas Portugal darauf warten, neu interpretiert zu werden. Waren es doch vor allem die Inszenierungen dieses Fotografen, die Barragán "ikonisch werden ließen und ihm den Pritzker-Preis einbrachten", so Pühl.

Barragán-Archiv in Weil am Rhein: "Potenzial zum Gassenhauer": die Hofanlage mit Pferden und Kornspeicher im Hintergrund von Luis Barragán und Andrés Casillas aus den Sechzigerjahren.

"Potenzial zum Gassenhauer": die Hofanlage mit Pferden und Kornspeicher im Hintergrund von Luis Barragán und Andrés Casillas aus den Sechzigerjahren.

(Foto: Armando Salas Portugal/Barragan Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Barragán habe "das Potenzial zum Gassenhauer", sagt Martin Josephy, "aber das ist nur eine Facette und nicht der ganze Barragán". Man darf sich darauf freuen, was die Welt in diesem Study Room, vor allem aber in einem digitalen Archiv eines Tages noch entdecken wird.

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