Ludwig Börne (XXXIV):Druckfahnen der Freiheit

SZ-Serie (XXXIV): Ludwig Börne und die Erfindung des politischen Journalismus

GUSTAV SEIBT

Ludwig Börne konnte die schönsten Vergleiche finden, am Ende verwandelten sie ihm alles in Politik. In sich gekehrt sitzt er im September 1830 in einer Postchaise nach Paris - der ersehnten Revolution entgegen reisend - und wie beschreibt er seinen Zustand? "Stumm wie ein Staatsgefangener in Österreich und taub wie das Gewissen eines Königs."

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Seine Kunst der Metapher hatte Börne bei Jean Paul gelernt, dem deutschen Klassiker, den er am allerhöchsten schätzte. Auch das Werk dieses versponnenen Erkunders feinster Seelenregungen begriff er politisch: Durch seine tiefsinnige Aufmerksamkeit für bisher unbenannte Empfindungen habe Jean Paul einen Kampf für die "Freiheit des Fühlens" gefochten: "Unsere Liebe wird der vertrauten Uhr, die jeden Pulsschlag unsers Herzens begleitet."

Nicht donnernde Schlachtfelder sind die Stätten dieses Kampfes, sondern die engen Stuben der armen Leute.

Börnes Lebensbahn beginnt in dieser bitter-innigen deutschen Enge und endet auf der großen Revolutionsbühne der Großstadt Paris. Dazwischen liegt die Erfindung eines neues Genres: politischer Journalismus als literarische Form.

Börne lebte von 1786 bis 1837 - er hätte gesagt: zwischen der Großen Revolution und Juli-Revolution, und damit hätte er für seine Biographie nur anerkannt, was für die ganze Gesellschaft galt: "Frankreich ist das Zifferblatt Europas." Er kam auf die Welt im Frankfurter Judenghetto unter dem Namen Juda Löw Baruch, als Sohn eines in Wechselgeschäften zu Vermögen gekommenen, angesehenen Mitglieds der Gemeinde. Solches Ansehen bewahrte allerdings keineswegs vor der Zurücksetzung und Verachtung. Einen "Roman der Bosheit" hat Börne später die schikanösen Reglements des Frankfurter Judenstatuts genannt, und wer ihn ausgemalt finden will, lese Ludwig Marcuses geniale Börne-Biographie, bis heute das beste Buch zu diesem Autor.

Der Wohlstand des Vaters erlaubte dem Sohn zwar einen frühzeitigen Aufbruch - zum Studium nach Gießen und Berlin, nach Halle und Heidelberg; und dort kam Börne mit führenden Gestalten des intellektuellen Lebens zusammen. Mit Henriette Herz und ihrem Salon in Berlin, mit Schleiermacher in Halle; als Achtzehnjähriger erwarb Börne den Doktorhut. Aber Freiheit brachten doch erst die Franzosen. Der Code Napoléon, der auch in den Rheinbundstaaten eingeführt wurde, stellte die Juden zum ersten Mal in der Geschichte Europas rechtlich ganz gleich. Der junge Baruch konnte 1811 Frankfurter Stadtbeamter werden.

Doch diese Befreiung war verdüstert von der napoleonischen Unterdrückung. 1812/13 kämpften die Baruchs mit gegen Napoleon, im Vertrauen darauf, dass die freiheitliche Erhebung des deutschen Volkes auch sie umfasse. Doch weit gefehlt. Die alten Bestimmungen gegen die Juden wurden wieder in Kraft gesetzt, als Börnes Bruder noch im Felde vor Paris lag, und er selbst musste den Frankfurter städtischen Dienst wieder verlassen.

Baruch-Börne war also erst zwanzig, als die politische Zeitgeschichte schon mehrfach tief in sein Leben eingeschnitten hatte. Seine Erfahrungen machten ihn zu einem vollkommen unsentimentalen, wenn auch immer aufs höchste erregten Zeitbeobachter. Der in der Restauration Kaltgestellte wurde Publizist, einer der ersten in Deutschland, der auf eigenen Füßen stand. 1818 gründete er eine eigene Zeitschrift, deren Verleger, Redakteur, Autor er in Personalunion war: Die Waage. Kurz davor war er als Ludwig Börne Christ geworden - so hieß er fortan als Autor. Der Erfolg der Waage machte ihn fast über Nacht so berühmt, dass selbst Metternich in Wien aufmerksam wurde und die Möglichkeit ventilierte, das aufsässige Talent durch Vergünstigungen an sich zu ziehen.

Dabei handelte Börne zunächst vor allem von Literatur und Theater. Doch auf der Bühne fand er den Zustand der bürgerlichen Gesellschaft, wie einst sein Vorbild Lessing. In der Sentimentalität der Rührstücke erkannte er die verhockte Stagnation des Politischen, im hysterischen Starkult für Schauspieler das Negativ von Öffentlichkeit. Dabei war er ein glänzender Leser und Zuschauer. Er gehörte zu den Entdeckern Grillparzers und förderte Kleist. Er wagte es, Goethe zu hassen, den "Stabilitätsnarr" mit seiner Angst vor Religion und Tod, Liebe und Hingabe, seinem egoistischen Festhalten an der hergebrachten Ordnung. Dass Goethe ein Schriftsteller der Angst ist, bleibt eine bis heute nicht ausgeschöpfte Entdeckung Börnes.

Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 - nach dem Terroranschlag auf Kotzebue - mit ihren verschärften Zensurbestimmungen, entzogen Börnes Schriftstellerei die rechtliche Grundlage. Er reiste nach Frankreich und lieferte erste politische Zeitbilder. Fortan schrieb er für Bücher und eine erste Werkausgabe, denn umfängliche Publikationen wurden weniger scharf zensiert als die dünnen, populäreren Hefte. 1824 wurde entdeckt, dass Börne unheilbar lungenkrank war. Bald stellte sich Schwerhörigkeit ein. Seit 1827, nach dem Tod des Vaters, der die liberale Entwicklung seines Sohnes immer beklagt hatte, konnte Börne aus dem Erbe eine Jahresrente gewinnen. Zusammen mit den Erträgen der Schriftstellerei - eine erste Werkausgabe erschien seit 1828 - stellte ihn das halbwegs unabhängig. Immer mehr war er auf die Pflege seiner Freundin Jeanette Wohl angewiesen, mit der er in einer ehelosen Lebensgemeinschaft zusammenlebte, worüber sich ausgerechnet Heinrich Heine später in aller Öffentlichkeit lustig machte.

Aus dieser stagnierenden Existenz zwischen Badereisen und Druckfahnen erlöste Börne die Pariser Juli-Revolution von 1830, die Einsetzung einer bürgerlichen Regierung unter Louis Philippe. Börne wollte dabei sein. Selten hat ein Reisender so unter der Langsamkeit der Postkutschen gelitten wie dieser. Kaum in Paris angekommen, begann er Briefe zu schreiben, um die auf ihn niederstürzenden Eindrücke weiterzugeben - zunächst privat an Jeanette Wohl, dann redigiert und überarbeitet für eine Serie von Büchern, seine Briefe aus Paris. Dieses schildernde, kommentierende, anfeuernde öffentliche Tagebuch des größten Auslandskorrespondenten der deutschen Literatur wurden zum europäischen Ereignis. Börne zeichnete ein Bild der Politik der Freiheit, entwickelt aus dem Alltag einer großen Stadt. Witz und Didaktik gingen eine unerhörte Ehe ein.

Diese aus dem Tag geborenen Briefe zeichnen den Grundriss des 19. Jahrhunderts. Wir sehen das Bürgertum in der Fülle seiner Kraft; wir werden zu Zeugen der ersten proletarischen Aufstände; und Börne entwickelt das Konzept einer Versöhnung Deutschlands und Frankreichs, um Europa so auf Dauer den Frieden zu sichern. Aufs Schönschreiben gab er nichts, wusste aber, dass er schöner schrieb als seine Konkurrenten, weil er so viel lebhafter war als sie. "Im Dienste der Wahrheit genügt es nicht, Geist zu zeigen", war seine Maxime, "man muss auch Mut zeigen". Die Leser haben ihn geliebt dafür, und bei seinem Begräbnis in Père Lachaise in Paris kamen sie zu Tausenden, darunter ungezählte Handwerker und Arbeiter.

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