Dokumentarfilm "Luchadoras" im Kino:Auf die Zwölf

Dokumentarfilm "Luchadoras" im Kino: Die mexikanischen Kämpferinnen "Baby Star" (li.) und "Lady Candy" im Film "Luchadoras".

Die mexikanischen Kämpferinnen "Baby Star" (li.) und "Lady Candy" im Film "Luchadoras".

(Foto: Missingfilms)

"Luchadoras" zeigt mexikanische Wrestlerinnen in Ciudad Juárez, Hauptstadt der Frauenmorde. Ein Manifest der feministischen Gegenwehr.

Von Doris Kuhn

Sofort ist man mittendrin. In einem Bus, bei einer Fahrt durch die Trostlosigkeit von Müll und Kakteen, zwischen Frauen jeden Alters. Kein Mann nirgends, dafür gehen die Geschichten um Männer, die zu dieser Fahrt erzählt werden: Man hört von der Fabrikarbeiterin, die abends so einen Bus nach Hause nahm und vom Fahrer vergewaltigt wurde. Von anderen Frauen, deren Leichen man in der Wüste fand, immer neue, immer wieder, missbraucht und gefoltert. Es sind Geschichten aus Ciudad Juárez, der Stadt, in der jede Frau jederzeit Gefahr läuft, getötet zu werden, weil niemand die Männer daran hindert.

So ist das in Mexiko, in Grenznähe, in direkter Nachbarschaft zu den USA. Im Vorbeifahren passiert man Fabriken in der Wüste, amerikanische Industrie, mit der viel Geld verdient wird, von dem die mexikanischen Arbeiterinnen zu wenig sehen; man ahnt von Ferne eine Großstadt auf der anderen Seite des Zauns, der USA und Mexiko auseinanderhält, das ist El Paso, Texas, betreten ohne Visum verboten. Was schade ist, denn das sei, so heißt es hier, die sicherste Stadt der Welt. Dann öffnet sich in einer großen nächtlichen Totalen der Blick auf die funkelnde Stadt der Morde, Ciudad Juárez.

Die Kameraarbeit ist erwähnenswert in "Luchadoras" von Paola Calvo und Patrick Jasim, denn viel zu selten wird beim Dokumentarfilm ein Stilwille erkennbar. Hier jedoch sieht man, wie die Regisseure mit ihren Protagonistinnen unterwegs sind, Licht und Umgebung werden sorgfältig gewählt, großartige Posen eingenommen, um das Schöne und das Wilde zu zeigen, das Ciudad Juárez anbieten kann. Trotzdem gibt es genug Fallstricke, die daran erinnern, wo man ist - im falschen Stadtteil womöglich, im falschen Territorium. Rasant kommt Nervosität auf, sobald das Filmteam feststellt, dass es von Männern beobachtet wird. Der Gedanke an Gewalt ist allgegenwärtig.

Gegenwehr ist durchaus eine Option, erklären die lokalen Superheldinnen

Das sieht man an den Hauswänden, die mit Vermisstenanzeigen bepflastert sind, man hört es im Hintergrund, dort jammert immer irgendeine Krankenwagen-Sirene. Man ist dabei, wenn aus einer Straße eine Tote abgeholt wird, erstochen wahrscheinlich, die Nachbarn gucken und plaudern. Aber "Luchadoras" will nicht nur den Femizid anprangern. Hier soll vielmehr die Gegengewalt in der Stadt präsentiert werden, Frauen, die politisch kämpfen, und Frauen, die physisch Kämpfe austragen. Damit ist der Film dann beim "Lucha Libre", bei den Fighterinnen mit Masken und bunten Kostümen, die diese mexikanische Wrestling-Variante öffentlich zur Schau stellen.

Aber sie machen nicht bloß Show, sie unterrichten auch Selbstverteidigung. Oft müssen sie als Erstes klären, dass Gegenwehr überhaupt eine Option ist, und dafür haben nur sie ausreichend Glaubwürdigkeit. Sie sind lokale Superheldinnen, am Wochenende sind ihre Vorstellungen gefüllt mit johlenden Zuschauerinnen. In einer runtergekommenen Arena fliegen die Fetzen, Frauen gegen Frauen, Frauen gegen Männer, alle fallen gern mal aus dem Ring, verhauen sich mit dem Mobiliar, geben sich niemals geschlagen. Es ist nicht richtig ersichtlich, wo die Grenze zwischen Kunst und Prügelei verläuft, aber es ist klar, dass es sich um laute, fröhliche Unterhaltung handelt, die jede hier brauchen kann.

Die Luchadoras sind schöne, stämmige, nicht unversehrte Frauen, gut in ihrem Training und gut im Leben mit dieser Stadt. Ein paar begleitet der Film: "Baby Star" nimmt nie die Maske ab, sie ist Superheldin ohne Pause, schon seit ihrer Kindheit wurde sie zur Wrestlerin erzogen. "Lady Candy" arbeitet in einem Bestattungsinstitut, ihr Gatte hat sich mit den Kindern in die USA davongemacht, da hilft kein Wrestling. Oder vielleicht doch, weil man damit eine Zusatzgage verdient, mit der man eine Anwältin zahlen kann. Es ist erstaunlich, wie wenig sich die Frauen im Alltag auf Männer verlassen, wie wenig Männer da überhaupt vorkommen. Weibliche Solidarität wird geschätzt, ansonsten kommt man als Frau allein zurecht, auch wenn man manchmal weinen muss.

Da nähert sich der Film wieder dem Thema der Selbstermächtigung, dem organisierten Zusammenhalt der Frauen. Sie sorgen für Netzwerke, um aufeinander aufzupassen, für Demos, um öffentliche Wahrnehmung zu schaffen. Das ist nicht neu, die Medien berichten von den Mordserien in Ciudad Juárez seit den Neunzigerjahren, es wurde schon mit Dokumentar- und Spielfilmen darauf reagiert. Ob das in der Wirklichkeit tatsächlich etwas bewirkt, wer weiß, wahrscheinlich nicht. Aber "Luchadoras" bewirkt jedenfalls, dass man am Ende laut einstimmt in den Schlachtruf: "Das Patriarchat abschaffen!"

Luchadoras, D, Mexico 2021. Regie: Paola Calvo, Patrick Jasim. Verleih: Missingfilms, 92 Minuten.

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