Süddeutsche Zeitung

Kino:Eine Vision, von der Zeit überholt

  • Luc Bessons neuer Film handelt von einem Model, das nebenbei eine Geschäftsmänner mordende Geheimagentin ist.
  • Mit "Anna" ist Bessons Kino der ikonisierten schönen jungen Frauen endgültig im Zombiestadium angekommen.
  • Das mag daran liegen, dass seine Frauenvision von der Zeit überholt wurde.

Von Juliane Liebert

Anna ist deprimiert. Anna (Sasha Luss) ist das neue Model in Luc Bessons neuem Film. Sie ist berufsbedingt sehr hübsch und nebenbei eine Geschäftsmänner mordende Geheimagentin. Sie modelt und mordet und modelt und mordet. Früher war sie ein Junkie mit einem gewalttätigen Freund. Dann kam Alex (Luke Evans) vom KGB und besorgte ihr einen neuen Job. Eigentlich könnte sie zufrieden sein. Aber ihre Chefs vom KGB haben noch nichts von Work-Life-Balance gehört. Anna hat nicht genug Freizeit, und immer nur zu modeln und zu töten macht das Mördermodel traurig, da beides recht oberflächliche Tätigkeiten sind. Anna fühlt sich davon einfach nicht erfüllt. Etwas muss sich ändern!

Wer sich ein bisschen für Luc Besson interessiert, hat schon mitbekommen, dass "Anna" ein ziemliches Desaster ist. Das liegt nicht unbedingt am trashigen Setup - Besson hat schon immer Filme gemacht, die mit dem Trash flirten. Teilweise als Regisseur, erst recht als Produzent. Aber "Anna" betritt den Ring Jahre nach "Atomic Blonde" und "Red Sparrow" und ist schlechter als beide, was ein Kunststück ist, weil sowohl "Atomic Blonde" als auch "Red Sparrow" schon bemerkenswert schlecht waren.

Es ist immer schmerzhaft, einen solchen Film von einem einst geliebten Regisseur zu sehen. Für Kritiker ist Besson dieser Tage ein leichtes Opfer. Er hat mit der ziemlich teuren Großproduktion "Valerian" einen Flop erlitten und wurde letztes Jahr von mehreren Frauen wegen Vergewaltigung angeklagt - und freigesprochen. Man will "Anna" verspotten, aber spotten kann man über Leute, die eh gerade gut im Geschäft sind. Problematisch oder mindestens billig wird es, wenn es um frühere Ikonen geht, die dem Zeitgeist jetzt peinlich sind. Nur leider ist es schwer, an "Anna" etwas Gutes zu finden.

Hier ist Bessons Kino der ikonisierten schönen jungen Frauen endgültig im Zombiestadium angekommen

Besson versucht die Zuschauer im Unklaren über die wahre Identität seiner Hauptfigur zu lassen, indem er den Film nicht chronologisch erzählt. Das ist schon dutzendmal vorher besser gemacht worden. Es gibt keinen Handlungstwist, den man nicht schon gesehen hätte. Keinen Witz, der hängen bleibt. Keinen Liebesschwur, den man glaubt. Der Film ist nicht einmal ein Ärgernis. Schon "Valerian" wirkte trotz Cara Delevignes Coolness klinisch tot, gerade im Vergleich zum "Fünften Element", der ein großer Spaß war, weil riesiger Quatsch filmisch unheimlich gewitzt umgesetzt wurde. Die assoziative Montage hatte etwas von einem Gedicht - Comicpoesie -, Milla Jovovich leuchte als Außerirdische Leeloo angemessen außerirdisch göttlich (nicht nur ihre orangenen Haare), und niemand wird sich je so liebenswert durch Actionfilme trotteln können wie Bruce Willis. "Lucy" mit Scarlett Johansson war zwar schon grenzwertig bescheuert, aber zumindest noch rasant.

Mit "Anna" ist Bessons Kino der ikonisierten schönen jungen Frauen endgültig im Zombiestadium angekommen. Als hätte er mit aller Gewalt versucht, zu seinen besten Zeiten zurückzukehren, noch einmal "Nikita" zu drehen, dafür aber nicht mehr genug Esprit. Das mag daran liegen, dass Bessons Frauenvision von der Zeit überholt wurde. Seine Art, Frauen im Genre zu überhöhen, zu sexualisieren und gleichzeitig "positiv" zu entmenschlichen, indem er sie mit irgendwelchen Superkräften versieht, wirkt angesichts der gesellschaftlichen Debatten und realen Veränderungen der letzten Jahre einfach albern. Die einzig reizvolle Szene ist die, in der die Protagonistin entnervt einen Fashionfotografen verprügelt, der die Models wie Vieh behandelt — und selbst die hinterlässt den unangenehmen Beigeschmack der Homophobie, weil der Fotograf als "typisch schwul" dargestellt wird.

Die Genderrollen sind längst fuzzy, also verschwommen. Killerinnen irritieren nicht mehr, sondern sind ihrerseits ein Klischee. Aber ein größeres Problem als dieser Anachronismus ist für "Anna" möglicherweise, dass die Fantasien von der heiligen, mächtigen, aber auch verletzlichen Überfrau ihre Unschuld verloren haben. Dafür braucht man gar nicht auf die Vorwürfe gegen Besson persönlich zu verweisen, es reicht schon, Weinstein und Konsorten im Kopf zu haben. Man erlebt beim Zuschauen eben nicht mehr die Allmachtsträume eines kleinen Jungen oder hat das überhöhende Begehren eines Teenagers im Kopf, sondern denkt an den geifernden Mann. So musste die Veröffentlichung der Film aufgrund der Missbrauchsvorwürfe verschoben werden.

Es hilft auch nicht, dass Sasha Luss als sexy Model eine lesbische Alibifreundin hat. Lesbische Freundinnen von Geheimagentinnen haben es im Film generell nicht leicht, und die Aufgabe von Lera Abova als Maud scheint zu sein, die männlichen Zuschauer ein bisschen anzuturnen und zu zeigen, dass Lesben kurze Haare haben und irgendwie anstrengend sind.

Im knallharten Bedienen von Genreklischees entsteht im besten Fall eine Verspieltheit, die befreiend wirkt. Es ist so klar, nach welchen Mustern die Handlung läuft, dass sich Details verselbstständigen können, weil der Druck wegfällt, etwas Wichtiges aussagen zu müssen oder unbedingt "Kunst" zu sein. Wenn aber das Genre nur noch gekonnt und mit ausreichenden finanziellen Mitteln reproduziert wird, verliert das Triviale seinen Zauber, und es bleibt nur das Unangenehme übrig: die populistische Schwarz-Weiß-Moral, zu Handlungsschemata geronnene Vorurteile.

Wie fair es ist, gerade Besson vorzuwerfen, dass er seine Frauenrollen als Fetische anlegt, steht auf einem anderen Blatt. Denn für welchen Film mit Exploitation-Touch ließe sich nicht ähnliches sagen? Das Kino hat immer über solche Projektionen und Instrumentalisierungen von Menschen funktioniert, für ästhetische Zwecke und zur Triebabfuhr. Es ist immer auch das narzisstische Baby-Ich, dass darin seine Fantasien bedient. Dafür sind vor allem Frauen benutzt worden. Weil die Regisseure Männer waren. Anna, die modelnde Geheimagentin, würde das gerne ändern. Aber sie bleibt doch das Geschöpf eines Mannes.

Anna, F 2019 - Regie und Buch: Luc Besson. Kamera: Thierry Arbogast. Mit Sasha Luss, Helen Mirren, Luke Evan. Verleih: Studiocanal, 119 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4529845
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.07.2019/luch
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.