"Loving Highsmith" im Kino:"Das schmerzlichste Gefühl ist das deiner eigenen Schwäche"

"Loving Highsmith" im Kino: Die junge Patricia Highsmith lebte ihre Homosexualität aus, litt aber darunter, es im Geheimen tun zu müssen.

Die junge Patricia Highsmith lebte ihre Homosexualität aus, litt aber darunter, es im Geheimen tun zu müssen.

(Foto: Rolf Tietgens/Courtesy Keith De Lellis/Edition Salzgeber)

Wie beeinflusst das Liebesleben die Kunst? Das zeigt der Dokumentarfilm "Loving Highsmith" über die Schriftstellerin Patricia Highsmith und ihr schwieriges Verhältnis zu ihrer Homosexualität.

Von David Steinitz

Die junge Patricia Highsmith hatte ein sehr aktives Liebesleben. Das war im New York der Nachkriegszeit für eine lesbische Frau keine einfache Sache. Das homosexuelle Nachtleben beschränkte sich auf wenige einschlägige Bars, die alle in derselben Ecke der Stadt lagen. Und wer diese Kneipen heimlich besuchte, stieg lieber eine U-Bahn-Station früher oder später aus, um keinen Verdacht zu erwecken. Für Highsmith, eine gebürtige Texanerin, protestantisch erzogen, war die Entdeckung der Großstadt und ihrer eigenen sexuellen Orientierung ein aufregendes, oft aber auch schmerzliches Abenteuer.

Mit ihrem Roman "Zwei Fremde im Zug" (1950), der bald nach seinem Erscheinen von Alfred Hitchcock verfilmt wurde, war sie bereits mit Ende zwanzig ein Star des Literaturbetriebs geworden. Aber das brachte auch Angst vor gesellschaftlicher Ächtung. Eine lesbische Schriftstellerin hätten die großen Verlage schnell wieder fallengelassen, obwohl Highsmith sich schnell als produktive Bestsellerautorin etablierte, die viel Geld einbrachte. Aber selbst ihre Mutter, zu der sie zeit ihres Lebens ein schwieriges Verhältnis hatte, verlangte von ihr, die "richtige" Sexualität zu leben - sich also gefälligst einen Mann zu suchen und zu heiraten. Highsmith schlief trotzdem weiterhin mit Frauen, hatte besonders als junge Frau viele Partnerinnen. Nur eben in der Verborgenheit der lesbischen Subkultur der Fünfzigerjahre.

"Loving Highsmith" im Kino: "Schreiben ist der einzige Weg, sich respektabel zu fühlen", sagte die Vielschreiberin Patricia Highsmith

"Schreiben ist der einzige Weg, sich respektabel zu fühlen", sagte die Vielschreiberin Patricia Highsmith

(Foto: Ellen Rifkin Hill/Swiss Social Archives/Edition Salzgeber)

Welchen Einfluss dieses Doppelleben auf ihr Werk hatte, untersucht die Schweizerin Eva Vitija in ihrem Dokumentarfilm "Loving Highsmith". Als Siebenjährige verbrachte die Regisseurin mit ihrer Familie die Sommerferien im Tessiner Dorf Tegna. Dorthin war auch Highsmith gegen Ende ihres Lebens emigriert, hatte sich ein bunkerähnliches Haus gebaut und fast ganz aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Die Eltern erzählten der Regisseurin, dass in diesem Dorf eine berühmte Schriftstellerin lebe, allein mit ihren Katzen. Das klang für das kleine Mädchen "aufregend und etwas furchteinflößend" und löste ein lebenslanges Interesse an der 1995 verstorbenen Schriftstellerin aus.

Highsmith dokumentierte ihr Liebesleben ausführlich in ihren "Cahiers", wie sie die Sammlung von Tage- und Notizbüchern nannte, die nach ihrem Tod in einem Wäscheschrank in ihrem Schweizer Haus gefunden wurden. Diese Texte, die vergangenes Jahr zum 100. Geburtstag der Autorin erstmals veröffentlicht wurden, nimmt die Regisseurin als Recherchegrundlage für ihren Film, zitiert ausführlich daraus. "Schreiben", befand Highsmith, "ist natürlich ein Ersatz für das Leben, das ich nicht leben kann, das mir verwehrt ist."

Highsmith zog durch die Westberliner Transvestitenclubs, die auch David Bowie gern besuchte

Die Regisseurin hat außerdem mit Verwandten Highsmiths in Fort Worth, Texas, sowie mit drei Ex-Freundinnen gesprochen. Die drei Frauen sind die amerikanische Schriftstellerin Marijane Meaker, die französische Übersetzerin und Lehrerin Monique Buffet und die deutsche Schauspielerin und Künstlerin Tabea Blumenschein. Letztere lernte Highsmith kennen, als sie Ende der Siebzigerjahre in der Jury der Berlinale saß (ausgerechnet sie, die die Verfilmungen ihrer Bücher meist abgrundtief hasste und deshalb selbst Hitchcock und Chabrol tendenziell für Trottel hielt) und nachts durch die Westberliner Transvestitenclubs zog, die auch David Bowie gern besuchte.

Es entsteht das Bild einer Frau, die ihre "creepy ideas", wie sie ihre Buchideen gern nannte, nicht nur, aber auch aus ihrer nie ganz frei gelebten Sexualität heraus entwickelte: Geschichten über Obsession, Beklemmung, Wahn, aber auch heimliche Befreiungsversuche im Gewand der Fiktion. Es ist vermutlich kein Zufall, dass ihre berühmteste Schöpfung, der talentierte Mr. Ripley, sich durch fünf Romane mordet und intrigiert, fast ohne jemals Anzeichen von Reue oder Schuldgefühle im herkömmlichen Sinn zu entwickeln. Eine von den meisten gesellschaftlichen Fesseln befreite Stellvertreterfigur, die sie in dezenten Anspielungen auch immer wieder als schwul charakterisiert.

Highsmith hat auch einen Roman über lesbische Liebe geschrieben, sehr früh in ihrer Karriere sogar. "Salz und sein Preis" (Jahrzehnte später verfilmt mit Cate Blanchett und Rooney Mara unter dem Titel "Carol") erschien 1952 - allerdings unter dem Pseudonym Claire Morgan. Das Buch galt als pure Provokation. Weniger wegen der Affäre zwischen zwei Frauen, die darin geschildert wird, als wegen des Happy Ends: Die zwei Frauen kommen mit ihrer Beziehung davon, ohne dafür in irgendeiner Form bestraft zu werden.

Das war im Amerika der Nachkriegszeit ein solcher Tabubruch, dass Highsmith sich erst gegen Ende ihres Lebens öffentlich zu dem Buch bekannte. Aber es muss ihr zumindest im Stillen eine immense Befriedigung verschafft haben, die Geschichte zu schreiben. Denn Schreiben, bekannte Highsmith, "ist der einzige Weg, sich respektabel zu fühlen."

Weil das Schreiben ihr als Rausch nicht genügte, trank Highsmith, um ihre innere Anspannung zu betäuben. Ihre Geliebte Marijane Meaker erzählt im Film, wie ihr erst nach einiger Zeit aufgefallen sei, dass der Orangensaft, den ihre Freundin immer zum Frühstück trank, bevor sie sich an die Schreibmaschine setzte, vor allem Gin mit einer Nuance Fruchtsaft war.

Natürlich sind diese Anekdoten alle nicht ganz neu. Und der Film kommt auch nicht an die ausgezeichnete 1000-seitige Highsmith-Biografie von Joan Schenkar (2015) heran, in der die meisten Geschichten auch schon nachzulesen waren. Aber er vermittelt doch sehr genau ein Gefühl für den Urkonflikt Highsmiths, der nicht nur ihr, sondern auch vielen anderen Menschen bekannt vorkommen sollte (und dessen literarische Bearbeitung sie so erfolgreich gemacht haben dürfte). Highsmith formulierte das in ihren Tagebüchern so: "Das schmerzlichste Gefühl ist das deiner eigenen Schwäche."

Loving Highsmith, Schweiz 2021 - Regie: Eva Vitija. Kamera: Siri Klug. Edition Salzgeber, 83 Minuten. Kinostart: 7. April 2022.

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