Fotoband "Loving":"Aus ihren Augen strahlt die Liebe, die sie füreinander haben, Frieden, Glück"

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Ein Liebespaar aus "Loving. Männer, die sich lieben" von Neal Treadwell und Hugh Nini.

(Foto: Nini-Treadwell Collection "Loving" by 5 Continents Editions/Elisabeth Sandmann Verlag)

Ein Bildband zeigt Jahrhunderte alte Fotos von homosexuellen Paaren. Ein Gespräch mit den Sammlern über besondere Blicke und warum sich Verliebtheit nicht verstecken lässt.

Von Marlene Knobloch

In ihrem New Yorker Wohnzimmer sitzen Hugh Nini und Neal Treadwell vor dem Laptop. Vor der Backsteinmauer im Hintergrund stapeln sich Fotoalben. Die beiden sind seit 1992 verheiratet und haben gemeinsam mehr als 3000 historische Fotos von Männerpaaren zwischen 1850 und 1950 gesammelt. Eine Auswahl der heimlichen Lieben haben sie jetzt in dem Bildband "Loving" veröffentlicht, der küssende Soldaten und Matrosen zeigt, deren Knie sich berühren, und nur über ein Lachen oder einen schamvollen Blick die Geschichten der geheim gehaltenen Beziehungen erzählt.

SZ: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie bei der Auswahl der Fotos immer am Blick erkannt haben, ob es sich um ein Liebespaar handelt oder nicht. Was verändert sich in den Augen, wenn wir verliebt sind?

Hugh Nini: Vielleicht waren Sie selbst auch schon verliebt und ich wette, all Ihre Freunde und Ihre Familie konnten das sehen. Auf den Fotos kann man diesen Blick sehen, der sich nicht verstecken lässt, wenn wir verliebt sind. Dieser Blick ist unverwechselbar. Unser Ausdruck wird weich. Es ist ein visuelles glückseliges Ausatmen. Es gibt ein Foto von einem Paar, auf dem man das besonders sieht. Wir hatten auch vier Einzelfotos jener Männer, die nicht im Buch abgedruckt sind. Darauf erscheinen sie hübsch, fröhlich, vielleicht etwas stoisch auf ihre edwardianische Art. Aber erst auf dem Foto, auf dem sie vorsichtig die Stirn aneinander legen, verschwindet alles andere. Aus ihren Augen strahlt die Liebe, die sie füreinander haben, Frieden, Glück.

Kennen Sie die Geschichten hinter den Fotos?

Hugh Nini: Leider nein. Bei vielen können wir nur rätseln. Aber eine Geschichte ist faszinierend. Es ist die Geschichte von John und Tiberio. Im Buch gibt es ein Foto von ihnen, wie sie im Schnee liegen. Sie waren ein Liebespaar während des zweiten Weltkriegs. Wir bekamen das Foto von Johns Neffen. John gab ihm zwei Jahre vor seinem Tod 1994 einen Schuhkarton und einen Ring, ohne zu sagen, was es damit auf sich hat. Er solle gut darauf aufpassen. Er spürte wohl, dass er nicht mehr lang leben würde. Der Neffe war noch ein Teenager und vergaß den Schuhkarton, aber als er ihn einige Jahre später zufällig öffnete, fand er Fotos von seinem Onkel mit diesem Soldaten. Auf einem Foto tragen die beiden den Ring, den John seinem Neffen gegeben hatte. Es ist das Foto im Schnee. Der Onkel hatte später noch andere Beziehungen, auch mit anderen Männern. Aber diese eine Beziehung mit dem Soldaten war ihm so wichtig, dass er sie bis nach seinem Tod bewahren wollte.

Wenn Sie jetzt diese jahrelang geheim gehaltenen Fotos veröffentlichen, ist das nicht auch ein bisschen voyeuristisch?

Hugh Nini: Ja, es ist aber eine schöne Art des Voyeurismus. Wenn die Fotos in die falschen Hände gefallen wären - und falsche Hände gab es damals überall -, wären sie vermutlich zerstört worden. Und jetzt, zum allerersten Mal, kann jeder diese Seite des Lebens dieser Männer sehen. Endlich kann ihre Geschichte erzählt werden. Die Geschichte: "Wir waren ein Paar, wir aßen gemeinsam zu Abend, wir waren verliebt, wir bedeuteten einander etwas." Wir wissen nicht genau, was zwischen den beiden passiert ist, aber wir bringen das Leben zur Sprache, über das sie damals nicht reden durften.

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Die beiden Sammler Hugh Nini und Neal Treadwell

(Foto: Courtesy of Nini-Treadwell Collection "Loving" by 5 Continents Editions/Elisabeth Sandmann Verlag)

Ihr teuerstes Foto war Ihnen sogar 2500 Dollar wert. Was war das Besondere an dem?

Neal Treadwell: Es war einfach die Schönheit. Wissen Sie, welches es ist?

Leider nein.

Neal Treadwell steht auf, um ein Album zu holen. Er schlägt es auf und hält eine Schwarz-Weiß-Abbildung in die Kamera: eine sogenannte Carte Cabinet, ein Foto also, das auf einen Karton geklebt wurde, um die Stabilität zu verbessern. Darauf sind zwei elegant gekleidete Männer, die sich an der Hand halten, einer sitzt dem andern auf dem Schoß und blickt schüchtern auf den Boden. Der andere schaut seinem Partner fast stolz ins Gesicht.

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Die Carte Cabinet aus dem Jahr 1870 war den beiden Sammlern 2500 Dollar wert. (Aus der Sammlung Nini/Treadwell)

(Foto: Courtesy of Nini-Treadwell Collection © “Loving" by 5 Continents Editions/Elisabeth Sandmann Verlag)

Neal Treadwell: Diese Carte Cabinet ist von 1870. Und sie war bei der Auktion so beliebt, weil das Foto so aufwendig inszeniert ist: Die beiden tragen sehr elegante Kleidung, Krawattennadeln, Manschettenknöpfe, Schlüsselanhänger. Dieses Foto hat ihnen viel Organisation und eine genaue, geheime Planung abverlangt. Wir wissen nicht wie, vielleicht war der Fotograf auch schwul, oder sie hatten einen Komplizen. Das hat uns fasziniert.

Sie schreiben, als Sie Ihr erstes Foto vor 20 Jahren gefunden haben, war es, als blickte es zu Ihnen zurück. Haben Sie in dem Paar Ihre eigene Liebe wiedererkannt?

Neal Treadwell: Ja. Wir stöberten durch irgendwelche Fotos auf einem Flohmarkt und sahen plötzlich diese zwei Männer. Mein Herz hat angefangen, wie wild zu schlagen. Wir hatten davor noch nie so ein Foto gesehen - von Männern, die wie wir waren. Es repräsentierte uns. Und es war außergewöhnlich, diese Repräsentation von uns in einer 80 Jahre alten Fotografie zu sehen.

Sammeln Sie immer noch Fotos von Liebespaaren?

Hugh Nini: Ja, und wir werden auch noch weitermachen. Das Wichtigste an dieser Sammlung ist, dass diese Menschen einander wichtig waren. Es ist so schwierig, diesen einen Partner zu finden, mit dem man sein Leben oder zumindest ein bisschen davon verbringen möchte. Und einige von diesen Paaren haben das vielleicht geschafft. Wir wissen nicht, ob sie eine kurze oder eine lange Beziehung hatten. Aber wir wissen, dass sie ihre Liebesgeschichte nie erzählen konnten. Alles war geheim. Mit den Fotos können wir endlich auch diesen Teil ihres Lebens erzählen.

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Liana Finck zeichnet Cartoons über das Leben und die Liebe. Ihre Arbeit bildet Gedanken und Gefühle ab, die die meisten Menschen nicht offenbaren würden - kein Wunder, dass Finck damit auch oft aneckt.

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