"Everything is ok", steht auf dem Schild, mit dem Charlie und Danny durch die Straßen von London ziehen. Alles ist in Ordnung - es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen, zu demonstrieren, in Wut zu geraten. Mit Megafonen brüllen die beiden Propheten in Londons Straßen die frohe Botschaft heraus, beantworten die letzten und allerletzten Fragen unserer Tage. Finanzkrise? "Was wir brauchen, ist mehr Kapitalismus." Terroristen? "Haben Sie keine Angst, die Regierung wirft viele große Bomben auf sie." Aber darf sie das? "Überlassen wir das Gesetz den professionellen Anwälten!"
Alles ist in Ordnung - das ist die ironische Message des Aktivisten Charlie Veitch. 2008, nach dem er seinen Job in der Londoner Finanzwelt aufgegeben hatte, begann er, der ein radikales Recht auf "Free Speech" vertritt, mit Kamera und Megafon durch die Straßen der Metropole mit ihren Hunderttausenden Überwachungskameras zu ziehen. Bald gewann er Mitstreiter wie Danny, filmte seine Aktionen, stellte sie auf Youtube. So wurde er eine kleine Berühmtheit.
Neben wenigen Interviews mit Familie und Weggefährten bilden diese Aufnahmen das Kernstück von Harold Baers Dokumentation "The Love Police". Baer peppt die Bilder dabei nicht zum Promo-Clip für einen Youtube-Liebling auf, sondern lässt sie in agitatorischer Freiheit auf der Kinoleinwand weiter zirkulieren.
Ausgelutschte Parolen
Veitch, das ist ein Spaßmacher, der den grauen Überwachungsstaat mit britischem Humor kontaminieren will. Der den Leuten empfiehlt, nicht auf die "Deppen mit den Megafonen zu hören". Dessen feine Ironie ihn von ausgelutschten Parolen abhält, sondern ihn sein neutrales "Everything is ok" in ein subtiles "Is everything questionable?" umkehren lässt: Noch die Hinterfragbarkeit von allem, was "ok" sein soll, steht hier infrage.
Der Aktivist fingiert also ein euphorisches - kein zynisches - Einverständnis mit dem System, gegen das er sich wendet. Entsprechend bezeichnet er sich bald selbst als eine Art Polizei, als "Love Police": Aus "Fuck the police" wird bei Veitch ein "Hug the police". Eine von Veitchs Standardaktionen besteht in der Umarmung der Polizisten, die ihn zum Schweigen bringen oder ihm Platzverweise erteilen wollen. Was sollen sie tun gegen Veitchs ostentatives "Alles ok", den Nicht-Widerstand adrett gekleideter Leute, die sich als "keine Terroristen", als "Typen mit langen Bärten, kurzen Bärten, keinen Bärten und sehr kleinen Kameras" ausrufen?
Die so provozierte Irritiertheit der Polizei wird durch das Megafon für die Umstehenden, durch die Kamera für die Zuschauer transparent. Und so zeigt Veitch in London und New York, bei den Protesten gegen den G-20-Gipfel in Toronto oder bei Studentenprotesten in Cambridge, dass jede Form von Protest - sogar noch ein Nicht-Protest wie seiner, heute sofort kriminalisiert wird.
Die bildliche wie physische "Erfassbarkeit" durch Überwachung und Polizei funktionieren mittlerweile so gut, dass es keine schimärenhafte Ununterscheidbarkeit zwischen Terrorist und Unschuldigem mehr gibt. Das Problem hat sich gelöst. Der Staat will und braucht keine friedlichen Bürger mehr, die sich erst noch von "radikalen Minderheiten" abgrenzen. Es reicht völlig, sie damit zu erpressen, dass jede Abgrenzung ignoriert werden wird - wie bei den brutal zusammengeschlagenen Protesten im Gezi-Park und der stundenlangen Einkesselung von Frankfurter Occupy-Demonstranten in diesem Jahr.