"Louder Than Bombs" im Kino:Die abwesenden Frauen

Jesse Eisenberg in Louder Than Bombs.

Die Mutter ist tot, der Vater hat eine Affäre, und so langsam kommen hässliche Geheimnisse ans Licht: Jesse Eisenberg in "Louder Than Bombs".

(Foto: MFA)

Frauen existieren in "Louder Than Bombs" allein in Bezug auf die Männer, nie für sich. Was relativ chauvinistisch ist.

Filmkritik von Philipp Stadelmaier

Wenn das Drama "Louder Than Bombs" gelungen ist, dann vor allem deswegen, weil es der Regisseur Joachim Trier endlich geschafft hat, seine Heimat Norwegen zu verlassen. Genau das predigten die Mittelschichtswohlstandskinder seiner beiden ersten, dort gedrehten Filme: bloß raus aus dem beschaulichen Oslo!

Bislang gelang dies lediglich durch imaginäre Kurztrips ins Traum-Paris der Nouvelle Vague, in seinem Debütfilm "Reprise" oder durch die Überdosis am Ende von "Oslo, 31. August". Sein neuer Film spielt nun dort, wo der Held von "Oslo" eine letzte Chance auf ein neues Leben sah: in New York.

Hier müssen sich ein Mann und seine Söhne mit der Erinnerung an die Mutter auseinandersetzen, die Kriegsfotografin war und bei einem Autounfall ums Leben kam. Eine Ausstellung ihrer Arbeit steht bevor und die Veröffentlichung eines großen Artikels in der New York Times.

Der Witwer (Gabriel Byrne) hat mittlerweile eine Affäre mit der Lehrerin seines jüngsten Sohnes (Devin Druid). Dieser wiederum ist unglücklich in ein Mädchen in seiner Klasse verliebt. Er ist der einzige, der nicht weiß, dass der Unfalltod seiner Mutter in Wahrheit ein Selbstmord war. Der älteste Sohn (Jesse Eisenberg), der gerade selbst Vater geworden ist, kommt nach Hause, um vor der Retrospektive das Archiv durchzusehen, und trifft dabei seine alte Jugendliebe wieder.

Wie schon in Triers früheren Filmen sind die Frauen auch hier abwesend, sofern sie nicht erobert und irgendwann fallen gelassen werden. Sie existieren allein in Bezug auf die Männer, nie für sich. Was relativ chauvinistisch ist.

Spiel mit filmgeschichtlichen Zitaten

Nun konnte sich Trier in seinen bisherigen Filmen dadurch retten, dass dieser Chauvinismus auch als Spiel mit filmgeschichtlichen Zitaten verstanden werden konnte: Nach einer Hommage an Godard, Truffaut und Resnais in "Reprise" wurde "Oslo" zum puren Remake des Films "Das Irrlicht" von Louis Malle. Wenn Trier die Frauen zum Fetisch machte, dann, weil das die Franzosen in den Sechzigern auch so getan hatten. Mit diesem ironischen Augenzwinkern konnte sich Trier ein wenig aus der Affäre ziehen.

In seinem neuen Film verzichtet er zwar nicht auf seine alten Obsessionen, macht es sich aber schwerer als in der Vergangenheit. Die Frau im Zentrum, die Kriegsfotografin (Isabelle Huppert), ist abwesend, tot, in der Erinnerung irgendwie nicht fassbar, und wird überhaupt idealisiert, um den Männern zur moralischen Erbauung zu dienen.

Durch Rückblenden ist sie aber nach wie vor sehr präsent, was ihre Fetischisierung greifbar und angreifbar macht. Die aus dem Krieg mitgebrachten Narben auf ihrer Haut bilden ebenso einen Anker in der realen Welt wie ihre Fotos, da Trier echte Kriegsbilder aus Agenturen wie Magnum verwendet hat.

Befreiung von einer fremd gewordenen Welt

Neu ist diesmal auch, dass Trier seine eigenen Bilder auf Zeichen einer ungestümen Wirklichkeit abtastet. So wird etwa der Autounfall der Fotografin in Zeitlupe zelebriert und bis in seine letzte mikroskopische Realität zerlegt. Man könnte sich bei dieser Szene an das Ende von Michelangelo Antonionis "Zabriskie Point" erinnert fühlen.

Und wenn dann der älteste Sohn in einem Foto der Mutter einen anderen Mann neben ihr im Hotelzimmerbett entdeckt, dann erinnert das wiederum an Antonionis Film "Blow Up", wo ein Fotograf auf einem seiner Bilder plötzlich einen Mord zu erkennen glaubt.

Die Eifersucht der Männer auf die verschwundene Frau mit ungewisser Identität: Das gab es natürlich auch bei Antonioni - noch so eine cinephile Referenz. Aber gleichzeitig ging es Antonioni auch darum, seine Figuren von einer Welt, die durch ein Trauma fremd und anders geworden ist, neu zu befreien. Auch das hat Trier von ihm gelernt. Was seinen Figuren nun anders als noch in seinen ersten beiden Filmen am Ende eine neue Perspektive ermöglicht. Norwegen hat Joachim Trier damit wohl endgültig hinter sich gelassen.

Louder Than Bombs, NOR/DEN/FRA 2015 - Regie: Joachim Trier, Buch: Trier, Eskil Vogt, Kamera: Jakob Ihre. Mit Isabelle Huppert, Jesse Eisenberg, Amy Ryan, Gabriel Byrne. MFA/Filmagentinnen, 109 Minuten.

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