London nach Olympia:Uncooles Erbe cooler Spiele

Olympia sollte Ostlondons einstiges Problemviertel Hackney aufwerten. Das ist gelungen - dank der ansässigen Künstler. Doch gerade sie müssen nun weichen, um ihre hippen Wohnungen einer vermögenderen Klientel zu überlassen.

Sarah Scarsbrook

Am 6. Juli 2005 donnerte ein Lärmschwall über mich hinweg, und der Himmel färbte sich rot, weiß und blau. Das war der triumphale Gruß der Fliegerstaffel Red Arrows, die eine Siegesrunde über der Londoner Skyline drehte, weil die Stadt das Bewerbungsrennen für die Olympischen Spiele 2012 gewonnen hatte. Ich wohnte damals in Hackney und dachte daran, wie viel sich ändern müsste, um aus dem Hackney, wie es damals war, den olympischen Stadtteil zu machen, der er heute ist. Ich habe die gewaltigen Veränderungen vor meiner Türschwelle dann genau beobachtet - und mein besonderes Interesse galt einer Gruppe: den Künstlern.

London nach Olympia: Träger der Olympischen Fackel in Hackney, London.

Träger der Olympischen Fackel in Hackney, London.

(Foto: AFP)

Der vorgeschlagene Standort für die Spiele sollten die postindustriellen Brachen Ostlondons sein, gelegen in einigen der ärmsten Stadtteile Londons (und des Landes) - darunter Hackney Wick. Von etwa 2003 oder 2004 an hatte sich diese Gegend zur Heimat einer ständig steigenden Zahl von Künstlern entwickelt, die in den aufgegebenen Lagerhäusern und Fabrikgebäuden lebten und arbeiteten.

Die Gegend war geradezu reif dafür, eine Künstlergemeinschaft aufblühen zu lassen: Es gab große, leere und auf vielerlei Weise nutzbare Räume und vor allem niedrige Mieten. Vermieter von Künstlerateliers drängten ins Viertel und dazu noch viele Künstler, die ihre eigenen Werkstätten einrichteten. Um 2005 war in diesem heruntergekommenen Hinterland eine vibrierende Kreativszene gewachsen. Diese Szene sollte ein wertvoller Bestandteil jenes Erbes sein, das die olympischen Wiederaufbaupläne der Gegend zu hinterlassen versprachen.

Dieses versprochene Erbe war immer ein Schlüsselelement der erfolgreichen Olympia-Bewerbung Londons. Das Wissen darum, dass gewaltige Veränderungen drohten, machte den Künstlern zunächst jedoch Angst. Sie hatten große Bedenken, dass die massive Entwicklung, die nötig sein würde, um London 2012 seine Bühne zu bereiten, ihnen keinen Platz mehr lassen könnte.

Es wurde befürchtet, dass die beschleunigte Gentrifizierung die Gegend hart treffen würde. Stark steigende Mieten würden Menschen, die in finanziell prekären Verhältnissen leben, hinausdrängen. Zu ihrer eigenen Überraschung sind die Künstler jedoch noch hier. Heute ist die Zahl ihrer Ateliers und Studios auf 620 angeschwollen. Damit weist das Viertel die wohl höchste Künstlerdichte der Welt auf. Entgegen ihren Erwartungen wurden die Künstler eben nicht verdrängt. Im Gegenteil: Sie wurden als zentrale Bestandteile in die mit Olympia verbundenen Wiederaufbaupläne für die Gegend aufgenommen.

Künstler sollen Marke aufbauen und dann gehen

Die Gründe dafür haben sowohl mit Entscheidungen von oben als auch mit einer Bewegung von unten zu tun. Es gibt einen wachsenden Trend, Künstler und Kreativindustrien am städtischen Wiederaufbau zu beteiligen. Die Kulturschaffenden sind ein entscheidender Bestandteil aller Pläne, aus Hackney eine neue Marke zu machen. Das nämlich versuchen sowohl staatliche Wiederaufbaukonzepte wie auch Immobilienhändler in ihren taktischen Gentrifizierungs-Manövern, die Künstler mit der Absicht in das Viertel locken, später an den gestiegenen Grundstückspreisen zu verdienen, die der Zuzug der Szene-Leute mit sich bringt.

Das gewünschte Ergebnis dieses olympischen Wiederaufbaus war immer, Hackney ein neues Image zu geben - vom krawalligen Problemstadtteil zum stilvoll coolen In-Viertel. Für diesen Imagewandel ist die Bewahrung der Künstler und ihrer Ateliergebäude ganz entscheidend. Der anziehende Hauch des Cool, der von dieser Ansammlung angesagter Künstler ausgeht, hat das hypertrendige Umfeld in Hackney Wick mit seinen Lagerhaus-Partys, Hipstern und Fashionistas erst geschaffen. Dieser Cool wird nun vermarktet, um Investoren nach Hackney zu ziehen - und das scheint zu funktionieren.

Die Künstler haben ihre Rolle als kulturelle Imageträger nicht nur passiv hingenommen, sondern selbst viel dafür getan, ihre Position in jener Mischung, die Hackney Wick heute ausmacht, zu festigen. 2008 brachten sie das erste Hackney Wicked-Festival auf die Bühne - eine Künstlerinitiative, die den enormen kreativen Ausstoß des Viertels feiert, aber auch den Künstlern eine unbedingt nötige Stimme gab, die auch im Lärm des olympischen Aufruhrs und seiner potenziell zerstörerischen Kraft nicht überhört werden konnte. Gleichzeitig ließ die größte Wirtschaftskrise der britischen Nachkriegsgeschichte das Kapital, das in die Gegenden um die Olympiastätten fließen sollte, stark zusammenschrumpfen. Das gab den Künstlern noch einmal einen Aufschub. Die Rezession hatte für die Künstler also eine positive Seite: Auch dank der Krise konnten sie in Hackney Wick bleiben.

Die Künstler sind jedoch nicht die einzigen Bewohner der Stadtteile rund um die olympischen Stätten. Hier leben so viele ethnische Gruppen wie nirgendwo sonst im Königreich, auch fahrendes Volk und viele Menschen mit niedrigem Einkommen. Wie sich Olympia auf diese Gemeinschaften auswirkt, muss noch erforscht werden. Klar ist, dass ihnen nicht der gleiche Wert wie den Künstlern zugeschrieben wird. Einige der Gemeinschaften der fahrenden Traveller wurden bereits umgesiedelt, um Platz für Olympia zu schaffen.

Wenn man in die Zukunft und auf die Computersimulationen blickt, die für den Stadtteil werben, ist das künftige Kreativzentrum Hackney Wick kaum als das Viertel wiederzuerkennen, das es heute ist. Die Planbilder zeigen saubere, lichte Plätze und steil aufragende Hochhäuser mit Penthouse-Wohnungen. Manche der neuen Gebäude behalten die alten Fabrikfassaden und damit ihren schäbigen Schick, der mit den Künstlerkolonien cool geworden ist. Aber es werden nicht Künstler in ihnen wohnen, sondern andere Bewohner. Das Kleingedruckte besagt, dass die geplanten Subventionen für die Künstler nach fünf Jahren auslaufen. Das heißt: Die Künstler können zwar bleiben, aber nur kurzfristig. Dann werden sie ihre Schuldigkeit getan haben und wegen gestiegener Mieten weiterziehen müssen.

Die Ironie liegt darin, dass sie mit ihrem eigenen, verlockenden Cool an dieser Entwicklung selbst mitgewirkt haben. Es erscheint unausweichlich, dass gerade die Vermarktung Hackney Wicks als Kulturstandort das Viertel künstlerisch so steril macht, wie die Computersimulationen anmuten. Die Künstler werden nicht bleiben. Sobald sie ihre Rolle als Agenten des Wandels erfüllt haben, werden sie weiterziehen und Platz machen für das wahre Erbe der Olympischen Spiele - in einer Zukunft, in der die Graffiti aus der Vergangenheit Hackney Wicks für immer ausgelöscht sein werden und der Weg frei ist für eine glänzende, neue Tech City, die dann aus dem Pflaster des alten Stadtteils wächst.

Sarah Scarsbrook, 31, arbeitet als Künstlerin und Kulturmanagerin im Osten Londons. Sie hat die Rolle der Kulturschaffenden bei der Entwicklung der Stadtteile rund um die olympischen Stätten für ihre Disserta-tion untersucht.

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