Der Boulevard des Titels, das ist ganz konkret gemeint. Ein Film zum News-of-the-World-Skandal, der seit Monaten London durchrüttelt. Einer der sinistren Männer mit Kamera vor dem Haus schaut aus wie Mark David Chapman, der ein paar Tage lang vor dem Dakota Building in New York rumhing und am 8. Dezember 1980 John Lennon, der dort wohnte, erschossen hat.
Colin Farrell bewegt sich wie ein tödlicher Engel durch die triste Londoner Stadtlandschaft. Er trägt seine Anzüge mit Grandezza, das ist die Jugendlichkeit, die Unschuld des Gangsters.
(Foto: dpa)Paranoia als Lebensform, das bringt die Stars und die Gangster zusammen. Brutalität mit Style, Zynismus als Selbstschutz, ein übersteigertes Verlangen nach Eleganz, das verklemmt und großbürgerlich daherkommt bei Mr. Gant (Ray Winstone, von Monahan aus "Departed" übernommen), und ganz leicht und freischwebend bei Colin Farrell als Mitch. "Er will ganz raus aus London", sagt Monahan, "deshalb ist er in dem Film gekleidet wie ein Amerikaner, mit seinem blauen Hemd und seinen Stiefeln, Blau und Braun, irgendwie die Farben von Los Angeles, wo der Film endet. Und der Wüste, wo ich demnächst drehen werde . . ."
Colin Farrell bewegt sich wie ein tödlicher Engel durch die triste Londoner Stadtlandschaft, so wie es in den Sechzigern und Siebzigern Michael Caine getan hat, er trägt seine Anzüge mit Grandezza, das ist die Jugendlichkeit, die Unschuld des Gangsters. Farrell und Knightley sind ein perfektes Paar, in ihrer merkwürdigen Asexualität, man kann sich einen Liebesvollzug bei ihnen nicht vorstellen. Ausgerechnet im Chateau Marmont in Los Angeles wollen sie sich zum Ende treffen, das Sofia Coppola mit ihrem "Somewhere" definitiv zum Hort der Frigidität gemacht hat.
Irgendwann setzt sich der neureiche Mr. Gant in den Kopf, dass er unbedingt den Rolls Royce der Filmdiva Charlotte haben muss - ein 1965 Mulliner Park Ward Silver Cloud, und der Filmemacher Monahan teilt diese Erregung über den Wagen, er hätte ihn beinahe zu Schrott gefahren beim Einsatz im Film. Der Rolls ist seine Hommage an Antonioni, dessen "Blow Up", die Art, die verlorenen Swinging Sixties einzufangen, das Westwood-Feeling, im Film verkörpert von Mitchs Schwester, die den schönen Namen Briony trägt.
Es gab mal eine Zeit, da war es cool, ein Gangster zu sein, meint Mitch zu Mr. Gant, aber glauben Sie mir, wenn ich ein Gangster wäre, wären Sie der Erste, der tot wäre . . . Der Filmemacher Monahan tut alles, damit das, was seinem Helden widerfährt, nicht nach Tragödie aussieht und nach Dramaturgie. Er will die Unschuld des Kinos, wie er sie bei Antonioni fand, "das, was man in West London allein durchs Licht kriegt, in diesem Elysium leerer Straßen, wenn man nur die Kamera laufen lässt".
LONDON BOULEVARD, USA/GB 2010 - Regie, Buch: William Monahan. Nach dem Roman von Ken Bruen. Kamera: Chris Menges. Musik; Sergio Pizzorno. Schnitt: Dody Dorn. Mit: Colin Farrell, Keira Knightley, David Thewlis, Ben Chaplin, Anna Friel, Ray Winstone, Eddie Marsan, Sanjeev Bhaskar, Stephen Graham, Ophelia Lovibond. Wild Bunch, 104 Minuten.
Anm. d. Red. vom 2.12.2011: Das im Text genannte Lied "The Letter" klingt zwar wie ein klassischer britischer Popsong und ist durch die berühmte Version von Joe Cocker auch so in aller Ohren hängengebliben. Nach einem Leserhinweis möchten wir aber gerne betonen, dass "The Letter" im Original eigentlich ein amerikanischer Song ist, nämlich von den Box Tops aus dem Jahr 1967.