Serie "Lokalrunde":Wo Barbie Vodka uriniert

Das Café Kosmos bietet Wände, an denen sich schon dutzende Lederjacken abgerieben haben, einen Schriftsteller mit Cowboyhut und Frank, der immer zur besten Zeit hinter der Bar steht - tagsüber.

Gastbeitrag von Dana von Suffrin

Die kleine Kneipe am Ende der Straße hat zu. Sie fehlt, so wie Bars, Restaurants, die gesamte Gastronomie, Gespräche, Flirts, letzte Drinks. Zur Überbrückung haben wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller um Geschichten über ihre Lieblingslokale gebeten.

Vor der Krise bin ich manchmal ausgegangen. Heute wünsche ich mir, ich hätte es öfter gemacht. Ich gehe gerne irgendwohin, stelle mich in die Ecke, bestelle mir einen Kaffee, den ich mehr betrachte als trinke. Im Café Kosmos kostet der Kaffee nur zwei Euro, glaube ich.

Frühling im Café Kosmos ist, wenn die Studenten kommen und billiges Bier in kleinen Gläsern kaufen und sich gegenseitig auf den Schoß setzen. Im Sommer sitzen die Leute mit überschlagenen Beinen vor dem Laden, und alle paar Minuten kommt ein Sandler vorbei, den alle überschwänglich begrüßen. Im Herbst sind im Kosmos Trachten verboten. Im Winter tauschen wir die Langeweile zu Hause gegen die Langeweile im Café ein, bestellen mehrere Freunde dorthin, lassen uns in Kantinengeschirr Tee servieren und denken uns dumme und sinnlose Rätsel aus, bis es dämmert. Einmal kam Jörg, der Bastler. Er hat im Kosmos schon verschiedene Automaten aufgestellt, etwa die Vodkarella, eine Barbiepuppe, die gegen Münzeinwurf Alkohol uriniert und bei neuen Besuchern für Begeisterung sorgt. Diesmal hatte Jörg den Auftrag, den Zigarettenautomaten zu verwandeln, die Chefs mögen keine Zigaretten mehr. Jörg hat eine Plexiglasplatte und eine ganze Barbiefamilie eingebaut, die mitleidig den Kopf schüttelt, wenn man am Griff zieht.

Im Café arbeiten nur Männer an der Bar, abends, wenn es voll wird, stehen draußen junge Mädchen und regeln den Einlass. Aber ich gehe lieber tagsüber in das Café, wenn es leer ist, die unverputzten Wände darauf warten, dass sich Dutzende Rücken an ihnen reiben. Vielleicht sehen die Wände so aus, weil sich schon so viele Lederjacken an ihnen gerieben haben.

Vormittags kommt ein Schriftsteller ins Kosmos, er hat einen Pferdeschwanz und eine Art Cowboyhut auf, und er sitzt stundenlang an einem Tisch und schreibt in dicke Kladden. Ich schreibe alles mit der Hand, und dann schreibe ich den ganzen Text noch einmal, erklärte er mir. Er hatte schon einen großen Erfolg, und jetzt ist es sein Beruf, in dicke Kladden zu schreiben, und das Kosmos ist sein Büro und der Vormittag sind seine Bürozeiten. Im Kosmos erzählte mir niemand von seinen Erfolgen und Triumphen, die meisten Leute stehen ruhig an der Bar, mittags kommen die Leute vom Bayerischen Rundfunk und trinken schnell einen Kaffee an der Bar.

Bis 18 Uhr steht viermal die Woche Frank hinter dem Tresen. Frank war, glaube ich, früher Werber, jemand hat mir erzählt, dass er ein Yuppie war und einen Porsche gefahren ist. Jetzt hat er seine Haare ganz kurz geschnitten, ist so schlank wie eine junge Katze und hat ein Glasauge.

Wir leben heute im Grunde genauso wie vor der Erfindung des Automobils

Manchmal durfte ich Frank beim Zitronenschälen helfen. Er brachte von draußen eine ganze Wanne mit dicken, saftigen Früchten, die er für die Kollegen von der Abendschicht schälen sollte. Während wir die Zitronen schälten, erzählte er mir von seinen Ideen, das waren Drehbücher über seine Senioren-WG, neue Lieder, manchmal wischte er sich auch die Hände an seinem Arbeitskittel ab, fischte sein Handy aus der Hosentasche und zeigte mir ein neues Ölbild auf seinem Handy. Das ist Hannibal, wie er die Alpen durchquert. Siehst du den Elefanten?

Manchmal läutete das Telefon. Frank wischte sich wieder die Hände ab und nahm den Hörer ab. "Für wie viele Leute wollt ihr reservieren? Sechs? Hoffentlich nur Mädels?", dann wartet er eine Sekunde, und ergänzt: "Und wie seht ihr so aus?"; ich höre die fassungslose Stille am anderen Ende der Leitung, dann kommt zögerlich eine Beschreibung der sechs Mädchen. Frank bricht in Lachen aus, ruft, das passt schon!, legt auf und trägt die Reservierung in ein Buch ein.

Komisch, wir sitzen jetzt gerade ein paar Wochen zu Hause und unterteilen die Zeit schon in ein Vor-der-Krise, ein Mittendrin und ein Nach-der-Krise. Ich bin an das isolierte Leben noch nicht gewöhnt, Ich wohne im Isartal, in einem der kleinen, reichen, schlecht gelaunten Vororte. Wir sehen jetzt noch weniger Leute als früher auf der Straße. Jetzt zahlt sich das auf eine Weise aber aus: Ich arbeite nicht mehr am Tisch, sondern am Fensterbrett. Es tut zwar weh, wenn meine Handgelenke auf der kühlen Kante des Fensterbretts liegen, aber ich sehe jeden Tag ein hässliches rotes Eichhörnchen und unzählige Finken, Häher und Meisen wie Schneeflocken durch den Garten wirbeln.

Ich jammere, dass ich keine Einfälle mehr habe, weil ich keine Menschen mehr sehe. Ich sage zu Florian: Weißt du, unser Leben ist jetzt wie vor der Erfindung des Automobils. Wir bewegen uns nur noch in einem kleinen Radius, sind immer zusammen im Haus, essen gemeinsam am Tisch und sagen den Nachbarn grüß Gott. Er sagt: Ja, wirklich, uns fehlt nur noch das Abendgebet. Ich sage: Und das Wirtshaus, aber erstens gibt es hier gar kein Wirtshaus, zweitens dürften wir auch dort nicht hin.

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