Süddeutsche Zeitung

Rapperin Lizzo:Langsame Songs sind für die Dünnen

Auf dem neuen Album der Rapperin Lizzo geht es viel um Sex und Hintern - aber nie darum, irgendeinen Mann zu beeindrucken.

Von Annett Scheffel

So etwas hatte man beim Coachella, dem Musikfestival in Indio im kalifornischen Coachella Valley, auch noch nicht gesehen. Da stand sie vor tausenden Besuchern in einem silbern glänzenden Superheldinnen-Outfit, samt Cape und Body, und spielte ein Solo auf der Querflöte. Bei Melissa Jefferson, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Lizzo, hat das Flötenspiel eher etwas von Battle-Rap als von Musikkonservatorium. Sie ist klassisch an dem Instrument ausgebildet, spielt ihre Variationen aber zu Hip-Hop-Beats, macht mittendrin eine Pause, um - genau auf den Takt - ein saftiges "Bitch!" dazwischen zu schieben, und endet mit einer ihrer berühmten Twerking-Einlagen.

Lizzo, die amerikanische Sängerin und Rapperin, ist eine Ausnahmeerscheinung in der gegenwärtigen Popmusik. Wenn sie "Bitch" sagt - und das tut sie eben oft - dann hat das nichts in der Frauenverachtung vieler anderer Rap-Songs zu tun. Es ist Ausdruck einer kulturellen Selbstermächtigung: das Zurückholen eines Wortes in die sexuelle Selbstverortung als begehrendes und begehrenswertes Wesen.

Gerade ist Lizzos neues Album erschienen: "Cuz I Love U" ( Nice Life/Atlantic) ist eine Platte voller starker, ansteckender R'n'B-Songs, die mal in Richtung Funk-Rock driften, mal hin zur Synthie-Disco der frühen Achtzigerjahre. Das Titelstück singt sie mit ihrer rauen, lauten Stimme als schwer dramatische Soul-Ballade. Von außen ist es ein hochglanzpoliertes Pop-Album, im Inneren aber sitzen eine Independent-Seele - und eine starke Message. Die beginnt schon mit der Anwesenheit einer schwarzen Plus-Size-Frau beim wichtigsten US-amerikanischen Festival, in extravaganten Musikvideos, auf Magazin-Covern, in den großen Late-Night-Shows und mit "Cuz I Love U" nun auch an der Spitze der US-iTunes-Charts. Anwesenheit ist Sichtbarkeit.

"Ich glaube nicht, dass gute Popsongs alleine die Leute noch interessieren", sagt Lizzo

Lizzo hat beinahe die gesamte letzte Dekade damit verbracht, sich vom Dasein als Indie-Rapperin aus Minneapolis in die großen Pop-Aufmerksamkeitskreise zu arbeiten. Ihre Musik ist Ausdruck jener emanzipatorischen Bewegungen, die seit einiger Zeit mit Konzepten wie Selbstliebe, Körper- und Sexpositivität immer deutlicher in den Pop-Mainstream drängen. "Ich glaube nicht, dass gute Popsongs alleine die Leute noch interessieren", sagt Lizzo. Deswegen schreibt sie Songs, in denen es darum geht, sich stark zu fühlen, indem man akzeptiert, wer man ist und wie man aussieht.

Die 30-Jährige sitzt in einem kurzen schwarzen Kleid und bunten Sneakern auf einem Berliner Hotelsofa. Im Gespräch ist sie so charismatisch wie auf ihrem Instagram-Account mit den vielen spektakulären Outfits und Twerk-Videos: amüsant, laut, ehrlich. "Als dicke, schwarze Frau bekommst du von der Gesellschaft eingetrichtert, dass du nicht liebens- und begehrenswert bist", sagt sie. "Ohne die Konsumkultur würden wir es wahrscheinlich normal finden, uns selbst zu lieben. Aber sie machen es uns absichtlich schwer, damit wir Lippenstifte und Diätpillen kaufen." Lizzo singt stattdessen davon, wie erstrebenswert ein noch dickerer Hintern ist: "I be slappin' on that ass, getting' thicker and thicker." Die Zeile stammt von ihrer ersten Majorlabel-EP "Coconut Oil", mit der 2016 das Thema Selbstliebe endgültig ins Zentrum von Lizzos Musik rückte.

Ihre ganze Karriere baut darauf auf, laut und provokant gegen Diskriminierung vorzugehen

Immer mal wieder hat es in den letzten Popjahrzehnten Songs gegeben, in denen vornehmlich weibliche Sängerinnen, die gängigen Schönheitsstandards entsprachen, davon erzählen, wie wichtig es ist, sich selbst zu lieben. Lizzo dagegen hat eine ganze Karriere darauf aufgebaut, laut und provokant gegen Körpernormen und jede Art von Diskriminierung vorzugehen. Das Zelebrieren von verschiedenen Körperformen, Hautfarben und sexuellen Vorlieben ist Kern und Motor ihrer Kunst. Die Selbstverherrlichung, die sie in ihren Songtexten und Musikvideos mit Witz und flirtendem Tonfall zur Schau trägt, soll ansteckend und heilend auf ihr Publikum wirken. "If I'm shinin', everybody gonna shine", singt sie im Refrain von "Juice", der Lead-Single des neuen Albums - wenn ich strahle, dann strahlen auch alle anderen.

Das ist nicht immer so gewesen. Auch davon erzählt Lizzo bereitwillig in Interviews: Wie sie sich in der Highschool in einer texanischen Kleinstadt den Körper mit Klarsichtfolien umwickelte, damit er unter der Kleidung dünner wirkte. Oder wie sie mit 21 obsessive Diät hielt. Damals mit Anfang 20 war sie von Texas nach Minneapolis gezogen, um ihre Musikkarriere voranzutreiben. 2013 erschien ihre Debütalbum "Lizzobangers". Danach wurde sie von Prince in sein Paisley Park Studio eingeladen, um an dessen Album "Plectrumelectrum" mitzuwirken.

Gerappt hat Lizzo schon seit ihrer Jugend. Auch sie war eine von vielen tausenden jungen Frauen, die sich vom Erfolg Missy Elliotts mitreißen ließen. "Plötzlich war da diese Rapperin, die aussah und dachte wie ich. Sie hat diesem pummeligen, schwarzen Mädchen, das ich war, gezeigt, dass alles möglich ist." Vielleicht, sagt Lizzo, sei ihr Einfluss sogar nie so spürbar gewesen wie in der zeitgenössischen Popmusik, in der immer mehr Rapperinnen, von Cardi B bis Tierra Whack, in den Vordergrund drängen. Als Hommage an Missy Elliotts "Get Ur Freak On" konnte man bereits "Boys" lesen, Lizzos Hit-Single aus dem vergangenen Sommer, in der sie das ewige R'n'B-Thema Sex mit wuchtiger Energie und viel Witz der Perspektive des heterosexuellen Mannes entreißt: "Baby, I don't need you", geht der Refrain, "I just wanna freak you." Auf "Cuz I Love U" gibt es jetzt eine Zusammenarbeit mit Elliott: "Tempo" ist ein von Trap-Beats gefärbter Popsong, zu dem man schnell und wild tanzen und, ja, twerken kann. "Slow songs, they for skinny hoes", heißt es da. "I'm a thick bitch, I need tempo." Langsame Songs sind für die Dünnen, dicke Bitches brauchen Geschwindigkeit.

Das ist das Besondere an Lizzos Album: Sie singt zwar die ganze Zeit über Sex und Liebe und ihren Hintern, man hat aber nie das Gefühl, es gehe darum, irgendeinen Mann zu beeindrucken. "Only exes that I care about are in my f**king chromosomes", heißt ein schönes Wortspiel im Song "Like A Girl" - die einzigen Exfreunde (Ex gesprochen wie das englische X), die sie interessieren, sind ihre verfluchten Chromosomen. Genauso wie das Thema der Unabhängigkeit als Frau zieht sich durch ihre Songs eine Verletzlichkeit, für die das Cover den Ton setzt: Komplett nackt sitzt Lizzo da auf dem Boden, den Mühen des Lebens schutzlos ausgesetzt, aber seltsam unangreifbar und ohne jede Scham. Es ist die Art Nacktheit, die man selten auf Plattencovern sieht: Die Nacktheit einer dicken, schwarzen Frau, die ganz aufrichtig von ihrer Schönheit überzeugt ist. Die Botschaft ist sie selbst.

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SZ vom 06.05.2019/tmh
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