Süddeutsche Zeitung

Veranstaltungen in der Coronazeit:Live lohnt sich nicht

Schwer planbare Touren von internationalen Künstlern, strikte Beschränkungen, kaum staatliche Hilfen: Konzertveranstalter werden am längsten unter der Corona-Krise leiden - das Jahr 2020 haben sie ohnehin längst abgeschrieben.

Von Thilo Eggerbauer

Zunächst waren es die Autokinos, die für Besucher von Pop-Konzerten etwas Normalität in den kulturellen Alltag bringen sollten. Mittlerweile gibt es eigentlich in jeder Stadt das eine oder andere Freiluftkonzert, mit geringer Besucherzahl zwar und umfassenden Sicherheitsvorkehrungen, aber immerhin. Nun startet am Mittwoch sogar das Reeperbahn-Festival. Pandemiegerecht, was vor allem bedeutet: extrem reduziert. Festivalgründer Alexander Schulz rechnet mit rund 2500 Besuchern pro Tag, verteilt auf 20 Spielstätten und rund 300 Veranstaltungen. Immerhin. Mit der Branche der Konzertveranstalter sollte es also langsam wieder bergauf gehen, oder?

Ein Irrglaube. Nicht erst jetzt, wo Großveranstaltungen bis mindestens Ende des Jahres grundsätzlich verboten sind. Tatsächlich sagen Branchenvertreter einhellig, dass die derzeitigen Einschränkungen wirtschaftlich rentable Konzerte unmöglich machen. Die Regelungen sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, Knackpunkt ist aber überall die Beschränkung der Besucherkapazitäten auf einen Bruchteil des Normalbetriebs.

"Ich glaube, nahezu die gesamte Branche hat das Veranstaltungsjahr 2020 für sich bereits abgeschrieben", sagt etwa Dieter Schubert, einer der Geschäftsführer der Booking-Agentur und Veranstaltungsfirma A.S.S. Concerts. Normalerweise organisiert sein Unternehmen Tourneen für Künstler wie die Crash Test Dummies oder The Hooters. In diesem Jahr hat es vor allem Konzerttermine vom Frühjahr in den Herbst und von dort größtenteils weiter ins kommende Jahr geschoben. Teilweise veranstaltet A.S.S. kleinere Shows als Freiluftkonzerte. Wirtschaftlich rentabel sei das aber nicht.

Vor allem die Beschränkung auf maximal 500 Leute setzt den Veranstaltern zu

Neben dem enorm gestiegenen Verwaltungsaufwand, den es etwa mit sich bringt, eine coronagerechte Infrastruktur zu schaffen und mögliche Kontakte unter den Besuchern nachverfolgen zu können, setzt A.S.S. aber vor allem ein Problem zu: Bei den Festivals, die sie bislang veranstaltet haben, kamen normalweise 25 000 Leute. Bei den Live-Sessions, die sie jetzt stattdessen anbieten können, seien 500 möglich. "Man muss fast sagen, man macht das Ganze zur Selbstbeschäftigung, damit man sich nicht fragen muss, wozu wir eigentlich da sind", sagt Schubert.

Vor einigen Wochen brach der Branche dann der nächste Hoffnungsschimmer weg. Vorerst zumindest: Das vom Veranstalter Live Nation für Anfang September in Düsseldorf geplante Konzert mit 13 000 Menschen musste verschoben werden. Mehr als 7000 Menschen hatten für "Give Live a Chance" bereits Karten gekauft.

Doch zum Regelfall taugen vergleichbare Veranstaltungen ohnehin kaum. Wirtschaftlich rentabel sind nämlich auch sie nicht, erklärte Marek Lieberberg, Geschäftsführer von Live Nation in Deutschland und damit Veranstalter unter anderem von "Rock am Ring" und "Rock im Park", der SZ vor ein paar Wochen. Lieberberg ist eine Art Cheflobbyist der Branche, der demnach das Zeichen setzen wollte, dass solche Großveranstaltungen immer noch möglich sind. Viele in der Branche begrüßten das.

Selbst Eventim Live, einer der größten Konkurrenten von Live Nation, bezeichnet Lieberbergs Aktion als "wichtigen Impuls für die Veranstaltungsbranche". Das Unternehmen veranstaltete unter dem Motto "Back to live" gerade selbst eine Reihe von Konzerten auf der Berliner Waldbühne. Zu Konzerten etwa von Roland Kaiser, Helge Schneider oder Sido waren bis zu 5000 Menschen zugelassen. Ausgelegt ist die Waldbühne allerdings auf bis zu 22 000 Zuschauer. Auch Eventim Live betont deshalb sehr deutlich: "Alle derzeit laufenden Live-Veranstaltungen lohnen sich angesichts der Kapazitätsbeschränkungen wirtschaftlich nicht." Sie seien trotzdem wichtig, weil sie ein Zeichen der Hoffnung sendeten.

Schwierig wird es auch, wenn die Open-Air-Saison in ein paar Wochen vorbei ist

Nicht alle feiern solche Vorstöße. "Ich halte das angesichts der steigenden Infektionszahlen momentan für schwer vermittelbar", sagt etwa Christian Waggershauser vom Muffatwerk in München. "Es bietet auch keine Perspektive, denn September, Oktober ist Schluss mit Open Air, und dann müssten wir schauen, dass drinnen was geht. Und das scheint ja nicht der Fall zu sein."

Das Muffatwerk ist aktuell auf ein "absolutes Rumpfprogramm" zurückgefahren. Drinnen sei die Lage noch schwieriger als im Open-Air-Bereich. Auch im Herbst wird es deswegen keine Konzerte in der Halle geben. Derzeit wären dort bestuhlt 200 Leute erlaubt. "Das trägt sich nicht, und wir stellen auch fest, dass die Leute noch nicht in die Halle wollen. Wir haben im September ein Konzert drinnen. Dafür verkaufen wir kaum Karten, obwohl wir kommuniziert haben, es wird sicher stattfinden."

Kleinere Veranstalter wie das Muffatwerk müssen in dieser Zeit um ihre Existenz fürchten. Waggershauser ist deswegen dabei, Fördergelder zu beantragen. "Im Augenblick haben wir von keiner Institution - Stadt, Land, Bund - auch nur einen einzigen Euro gesehen." Auch das "Strom" in München steht mit dem Rücken zur Wand und ist derzeit ganz geschlossen. Betreiber Frank Bergmeyer weiß nicht, ob es den Live-Club Ende des Jahres noch geben wird: "Die Miete wurde zwar gestundet, aber wenn es irgendwann zu viele Monate sind, die sich anstauen, dann ist das für uns nicht mehr zu stemmen."

Bergmeyer leitet im Hauptberuf die Agentur Propeller Music, mit der er Konzerte in München veranstaltet - auch im Olympiastadion. Möglich sei dies aber frühestens wieder im kommenden Jahr. Das liege nicht nur an den Kapazitätsbeschränkungen, sondern auch daran, dass internationale Künstler derzeit nur schwer nach Deutschland einreisen könnten. Wegen der unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen EU-Ländern sei es für sie außerdem nahezu unmöglich, eine Europatour zu planen. Deswegen werden gerade viele Konzerte noch weiter nach hinten verschoben - bis in die Jahre 2022 oder 2023.

60 Berliner Unternehmen wenden sich in einem offenen Brief an den Bürgermeister

Dasselbe Problem beschreibt auch Radek von Bronikowski. Er ist Geschäftsführer von Greyzone, einem Veranstalter für Club-Konzerte in Berlin. "Wir sind auf Künstler aus anderen Ländern angewiesen. Wir haben gar nicht so viele deutsche Bands oder Künstler, die in Deutschland wohnen. Deswegen interessiert mich erst mal nur so halb, wie das Hygienekonzept in einer Halle aussieht, wenn die Künstler nicht einreisen können." Auch Greyzone wird bis Ende dieses Jahres keine Konzerte mehr veranstalten. Bei der derzeitigen Reduktion der Kapazitäten wären laut von Bronikowski nicht einmal die Produktionskosten gedeckt. Er habe zwar schon Fördergelder bekommen, diese reichten aber "vorne und hinten nicht".

Greyzone ist deswegen eines von 60 Berliner Unternehmen, die sich in einem offenen Brief gemeinsam an Bürgermeister Michael Müller wandten. Sie fordern eine stufenweise Kapazitätserhöhung auf das Normalniveau bis Januar 2021. Sollten weiterhin keine "wirtschaftlich sinnvollen Veranstaltungen" möglich sein, verlangen sie eine vollständige Entschädigung der betroffenen Unternehmen sowie eine Bezuschussung für den Neustart 2021.

Solche branchenübergreifend organisierten Forderungen sind allerdings der Ausnahmefall. "Wir haben nicht die Lobby wie die Bauern, die es geschafft haben, dass Erntehelfer hierherkommen. Wir haben auch nicht die Lobby wie die Fleischindustrie oder Autoindustrie", sagt Christian Waggershauser vom Muffatwerk. Er appelliert deshalb an die Politik: "Wir sind die am längsten betroffene Branche von allen - mit Abstand. Wenn man will, dass die kulturelle Vielfalt überlebt, dann muss man den Veranstaltern und den Locations helfen." Und Hilfe kann in diesem Fall nur bedeuten: finanzielle Unterstützung.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2020/tmh
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