Süddeutsche Zeitung

Live-Musik in Bayern:Jugendkultur zum Selbermachen

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Im Cairo in Würzburg organisieren drei Veranstaltungsgruppen das Programm für Entdecker

Von Florian Welle, Würzburg

Das Cairo ist kein Musikclub wie jeder andere: Das fängt schon beim denkmalgeschützten Gebäude unterhalb der Festung Marienberg an. Wer davor steht, blickt auf eine imposante neoklassizistische Fassade mit maurischem Dekor. Der sogenannte "Ägyptische Bau" war im Laufe seiner mehr als 200-jährigen Geschichte Frauenzuchthaus, Besserungsanstalt für Knaben, Treff der Hitlerjugend. Nach dem Krieg beherbergte er erst die unterfränkische Regierung, dann das "Haus der Jugend". Nach Umbau und Renovierung öffnete er 1987 wieder, diesmal unter dem Namen Cairo.

Das Cairo ist ein Jugendkulturhaus. Hier trifft man sich, um seine Freizeit zu verbringen. Neben Improtheater, Tanzworkshops und einer veganen Volksküche sind die mehr als 100 Konzerte im Jahr im Grunde nur ein Angebot unter vielen, das genutzt werden kann. Aber für diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, das Entscheidende: Finanziert wird das Cairo zum einen von der Stadt, zum anderen von einem Förderverein.

Im Gegensatz zu klassischen Clubs mit ihren professionellen Konzertveranstaltern und Booking-Agenturen, gibt es im Cairo mehrere Veranstaltungsgruppen. Sie heißen "XYEAHX", "A Division of Tanzklub" und "Kommküssen" und stehen jedem offen, der Lust hat, Konzerte zu organisieren. Die verschiedenen Gruppen holen in Eigenverantwortung lokale, nationale und internationale Bands ins Haus, die sie selbst gut finden. Die Leute von "XYEAHX" stehen eher auf Wave, Indie und Punk, die von "Kommküssen" mehr auf Singer/Songwriter und Electro.

Do-it-yourself ist das Motto. Das hauptamtliche Leitungsteam, bestehend aus Madlen Will und Steffen Deeg, stellt nur die Räume und die Infrastruktur zur Verfügung. Mit anderen Worten: Die beiden Sozialpädagogen kümmern sich um die Gema und die Künstlersozialkasse, für den Rest ist die Veranstaltungsgruppe zuständig. Ihre Mitglieder helfen der Band, die Instrumente in den Konzertsaal zu tragen - das Cairo hat fünf Stockwerke, einen Aufzug gibt es nicht. Anstatt Fertigpizza hinzustellen, kochen sie für die Musiker im liebevoll eingerichteten Backstage-Bereich. Und meistens lassen sie diese bei ihnen übernachten. Eine der wenigen Bedingungen des Hauses: Die Eintrittseinnahmen sollten die Veranstaltungskosten decken.

Wer verstehen will, was das Cairo im Vergleich zu anderen Würzburger Clubs wie etwa der Kellerperle ausmacht, der sollte die Frauen und Männer hinter den Veranstaltergruppen anhören. Etwa Charly Heidenreich, der 1994 "Freakshow-in-Concert" ins Leben rief und ein Fan von Jazz- und Progressive-Rock ist: "Es bietet die beste Infrastruktur, was Ambiente, Größe, Technik, Personal, Promotion, Kosten für kleine Nischenmusik betrifft." Und das andere Cairo-Urgestein, der Krautrock-Freak Horst Porkert, sagt: "Perfekte, optimale Unterstützung vom gesamten Cairo-Team, welches ein großes Herz für Nischenmusik besitzt, die an anderen Orten sonst keinen Platz hätte, super PA und schöne Konzertlocation, support the underground!" Den Bands, die keine hohen Festgagen erhalten, stehen insgesamt drei Bühnen zur Verfügung - auf der vierten wird Theater gespielt. Oben im Haus ist der große Konzertsaal, in den bis zu 199 Leute passen. Er verfügt über eine neue Musikanlage. Unten neben dem Eingang befindet sich die Studiobühne. Am Tag eine Rumpelkammer mit Neonlicht und Fliesenboden, verwandelt sie sich abends zu einem idealen Ort für Songwriter-Konzerte oder kleine Punk- und Noise-Bands. Und der lauschige Innenhof samt Baumhaus bietet im Sommer 350 Menschen Platz.

Das Cairo deckt im Würzburger Kulturleben eine wichtige Nische ab. Immer wieder aber treten Bands später aus dieser heraus. Bevor sie berühmt wurden, spielten hier vor einem kleinen Publikum die Sportfreunde Stiller (2000), The Gossip (2005) und The Gaslight Anthem (2008). Wer Lust hat, Entdeckungen zu machen, der ist im Cairo richtig. 2014 erhielt die Location für ihre Arbeit den Spielstättenprogrammpreis.

Cairo, Fred-Joseph-Platz 3, Würzburg, Veranstaltungsinfos unter www.cairo.wue.de

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Quelle:
SZ vom 01.09.2015
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