Süddeutsche Zeitung

Little Britain:Passt scho

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Für einen günstigen Paul-Smith-Anzug stellt man sich gern ans Ende einer hundert Meter langen Schlange. Dabei lernt man Typen kennen, die cooler sind als Samuel L. Jackson. Viel später, bei der Anprobe, stellt sich allerdings die drängende Frage: Wer ist die karierte Presswurst, die da aus dem Spiegel glotzt?

Christian Zaschke, London

Der irische Schneider war sichtlich erfreut, als er auf den viel zu großen Anzug schaute, den ich mitgebracht hatte. "Musterverkauf bei Paul Smith?", fragte er. Ich nickte. "Kein Problem", sagte er, "wir nehmen den Anzug einmal auseinander und bauen ihn passend wieder zusammen. Macht 125 Pfund." Ich seufzte. Das klang so ermutigend wie: "Wir machen das Sakko zur Weste, die Hose zu Knickerbockern und aus den Stoffresten nähen wir noch ein hübsches Stirnband zusammen." Der Schneider schrieb meinen Namen auf, verkündete, dass er Schecks oder Bargeld nehme und fragte beiläufig, wo ich herkäme. "Aus Deutschland", sagte ich.

Mittags hatte der stets erstaunliche G. angerufen und geraunt, er habe da diese brandheiße Information zugespielt bekommen: Musterverkauf bei Paul Smith. Das heißt: gute Anzüge für kleines Geld. "Exzellent", sagte ich, zog ein weißes Hemd an und stieg in die U-Bahn. In Holborn angekommen, musste ich feststellen, dass die brandheiße Information nicht nur G. zugespielt worden war. Die Schlange vor der Verkaufshalle war gut 100 Meter lang, und sie wuchs schnell. Wir stellten uns trotzdem an.

Der Mann vor uns sah genauso aus wie Samuel L. Jackson, allerdings war er noch ein kleines bisschen cooler. Er drehte sich zu uns um. Sofort spürte ich den starken Impuls zu sagen: "Ich war's nicht." G. hingegen sagte lässig: "Dauert angeblich so zweieinhalb Stunden, bis wir reinkommen." Der Samuel-L.-Jackson-Mann schnaubte. "Ich hab' noch nie im Leben auf irgendwas zweieinhalb Stunden gewartet", knurrte er.

Als wir eine Stunde später in der Verkaufshalle standen, fand G. innerhalb von fünf Minuten zwei unfassbar gute Anzüge, die passten wie für ihn gemacht. Mir passte kein einziger Anzug. In der britischen Größe 42 sah ich aus wie eine karierte Presswurst, in Größe 44 wie Hans Rosenthal, der in einen Anzug von Hermes Phettberg geschlüpft ist. Ich versuchte, mir meinen Neid auf G. nicht anmerken zu lassen. "Schau doch nicht so neidisch", sagte G. Ich versuchte, so cool auszusehen wie der Jackson-Mann. Auch das misslang.

Mein Verdruss war so groß, dass ihn ein Verkäufer bemerkte und eilfertig erklärte, Musteranzüge würden im Grunde niemandem passen. Aber man könne sie bei diesem sehr guten Schneider um die Ecke ändern lassen. In einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung griff ich einen Anzug, zahlte und trug ihn um die Ecke.

"Aus Deutschland!", rief der irische Schneider, "ich bin mit einer wunderbaren Frau aus Niederbayern verheiratet." Meine Laune hob sich schlagartig. Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln und sagte: "Ich weiß ganz genau, wovon Sie sprechen."

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Quelle:
SZ vom 10.11.2012
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