Little Britain:Navigationsfehler im Pelz

Wer sich den teuren "Hairdresser" sparen will, versucht in London sein Glück beim günstigeren "Barber". Den verlassen Kunden zwar eher mit abenteuerlichen Frisuren, dafür haben aber diejenigen, die sie einem verpassen, ihren ganz eigenen Charme: In ihren eigentlichen Metiers sind sie unfehlbar.

Christian Zaschke

Der Brite unterscheidet zwischen "Hairdresser" und "Barber". Erstere sind richtige Friseure, Letztgenannte bedienen Schermaschinen und tun anschließend noch kurz so, als würden sie auch mit der Schere umgehen können. Ich ging bisher zum Barber.

Mitten in Absurdistan Washington

Eine britische Version des Friseurs heißt Barber. Sie bedienen Schermaschinen und tun anschließend noch kurz so, als würden sie auch mit der Schere umgehen können.

(Foto: AP)

Erst war ich bei einem rund 60 Jahre alten Griechen, dessen Haupt von vollem, wallendem Haar umspielt wurde. Er nannte sich George und hatte keinen Haarschnitt, seine Haare waren auf erhabene Weise einfach da. Er sah aus wie ein Kreuzfahrtschiffskapitän, der nie auch nur eine halbe Seemeile vom geplanten Kurs abweichen würde. Ach, keinen Faden würde er abweichen, er hieße Gregorius Petriakis und steuerte seinen Ozeanriesen konzentriert und doch lässig durch engste Meerengen und die weiteste See: wolkenweißes Hemd, einen Knopf zu weit offen, graue Mähne, dazu dieser Blick, der die Ferne gewöhnt ist.

Aber als George mir erneut in knapp vier Minuten einen eher modernen Schnitt verpasst hatte und dann anbot, sein 90 Jahre alter Vater könnte mir jetzt noch schnell eine Nassrasur mit dem Messer angedeihen lassen, beschloss ich schweren Herzens, den Barber probeweise zu wechseln.

So geriet ich an Marco.

Marco kommt aus Zypern und hat es geschafft, dass sein mindestens 30 Jahre alter Fernseher, der über dem Spiegel auf einem etwas zu kleinen Regalbrett balanciert, ausschließlich zypriotische Gameshows empfängt. Während des Schneidens geht sein Blick stets nach oben zum Fernseher.

Beim ersten Mal dachte ich zunächst, dass ich umgehend reumütig zu George zurückkehre. Aber Marco entpuppte sich als guter Mann. Nur wer es sehr genau nahm, sah, dass der scherengeschnittene Teil etwas schief war, und was den verhunzten Wirbel anging: Wirbel sind nun mal wirklich schwer zu schneiden, das ist oft auch Glückssache. Und was mich wirklich für Marco einnahm: Er übersetzte die jeweils laufende Gameshow Wort für Wort.

Leider habe ich die Shows nie gesehen, weil der Fernseher wirklich viel zu hoch steht. Ich blickte geradeaus in den Spiegel und sah dort meinen Kopf, der aus dem Umhang hervorspähte, und hinter mir Marco, der hoch zum Fernseher schaute und dabei schor und schnitt.

Entweder zählen zypriotische Gameshows zu den witzigsten der Welt, oder Marcos wahre Berufung ist die des Erzählers (für letzteres sprachen letztlich auch meine Haare). Es ist mir wirklich nicht leichtgefallen, nach George, dem Barber, der besser Kapitän geworden wäre, auch Marco zu verlassen, den Barber, der besser Erzähler geworden wäre. Mein bisher letzter Friseurbesuch war teuer und fad, und ich habe jetzt wieder eine normale Frisur.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: