Little Britain:Mit Schnitt

Glück ist ein Friseur, der einen besser ausehen lässt, als das Gesicht es eigentlich hergibt. Marco ist so einer. Leider weiß das auch der ältere Herr, der unseren Kolumnisten wirklich alt aussehen lässt.

Christian Zaschke, London

Friseur

Auch im besten Barbershop gibt es hin und wieder einen Aushilfsbarber. Überlegenheitsgefühle sind in einer solchen Situation fehl am Platz.

(Foto: iStockphoto)

Ich hätte den alten Mann ernst nehmen müssen. Natürlich hätte ich das. Ich war in den Barber-Shop gekommen, hatte mich umgeschaut, die Lage geprüft und eine Zeitschrift gegriffen, in der über Pop-Sängerinnen berichtet wird.

Hier eine These über den Zusammenhang zwischen Älterwerden und Radiomusik: Junge Menschen kennen alle Hits aus den Charts und wissen auch, wer sie singt. Nicht mehr ganz so junge Menschen kennen die Hits aus den Charts, haben aber keine Ahnung, wie die Interpreten heißen. Oder umgekehrt. Noch etwas ältere Menschen haben die Lieder aus den Charts nie gehört. Rihanna halten sie für ein Haarfärbemittel, Beyoncé für eine französische Käsesorte und Lady Gaga für einen WC-Reiniger.

Während ich noch zur mittleren Kategorie gehöre, fiel der Mann, der neben mir beim Barber wartete, zweifelsfrei in die dritte Gruppe. Vielleicht fühlte ich mich deshalb überlegen und passte nicht weiter auf.

Der Barber heißt Marco. Er ist ein guter Barber. Wenn er mir die Haare schneidet, sehe ich danach besser aus, als mein Gesicht es eigentlich hergibt. Ich hatte ihn früh entdeckt, nachdem ich zuerst kurz bei George war, dem Griechen.

Alles war gut, die Dinge gingen ihren Gang. Meine Haare wuchsen, Marco schnitt sie. Eines Tages aber bildete ich mir ein, er schaue beim Schneiden zu oft auf den kleinen Fernseher, der auf einem winzigen Brett über dem Spiegel balanciert. Marco schaut gern zyprische Gameshows. Warum auch nicht? Ich aber war erst nervös und dann Marco untreu geworden.

So wanderte ich von Friseur zu Barber und von Barber zu Friseur und kehrte schließlich zu Marco zurück. Er sagte nichts zu meiner langen Abwesenheit. Er schnitt mir die Haare, und danach sah ich besser aus, als mein Gesicht es eigentlich hergibt.

Oft stellt Marco Aushilfsbarber an, deren Begabung zum Haareschneiden eher bescheiden ausgeprägt ist. Als ich an diesem Tag in den Laden gekommen war, gab es jedoch keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Der Aushilfsbarber war mit seinem Kunden fast fertig, Marco brauchte noch eine Weile. Alles bestens, denn der alte Mann war vor mir dran. Ich las in der Zeitschrift.

Als der Aushilfsbarber fertig war, lächelte ich in mich hinein. Wirst schon sehen, alter Mann, dachte ich. "Der Nächste bitte", sagte der Aushilfsbarber. Ich las. "Der Nächste bitte", wiederholte er etwas lauter. Ich blickte auf. "Ich warte auf Marco", beschied der alte Mann, "gehen Sie bitte vor."

Ich war fassungslos, und ich sah genau, was er dachte: Wirst schon sehen, mittelalter Sack. Nach zehn Minuten war der Aushilfsbarber fertig mit mir. Ich zahlte und schaute mit meiner neuen Frisur den Alten an. Er grinste vor sich hin, gelassen wie ein Mann, dem es wirklich scheißegal ist, wer oder was Rihanna ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: