Seit Wochen denke ich darüber nach, wie ich die wahre Geschichte eines deutschen Kollegen, der aus guten Gründen glaubt, sein sämtliches Haupthaar durch den übermäßigen Verzehr von Bratwürsten verloren zu haben, in der Kolumne unterbringen könnte.
Das Problem: In der Geschichte, wenn man sie in ihrer glorreichen Gänze erzählt, kommen außer Tschernobyl auch die Bonner Großveranstaltung "Rhein in Flammen", Walter Jens sowie viel später auch ein kleines Haus auf Bali vor. Es geht um eine dunkle Nacht des Regens, um helle Tage der Ermittlung, ums Balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Angst und Wahn.
Es ist eine irrwitzig gute Geschichte, aber es ist auch eine sehr lange Geschichte, die mehrere unfassliche Wendungen nimmt und den Zuhörer in einer Mischung aus Rührung, Bewunderung, Furcht und Erbauung zurücklässt. Wer die Geschichte hört, denkt danach tagelang an nichts anderes.
Pub-Thema: Tweedanzüge
Der exzellente Kollege hatte seine exzellente Geschichte erzählt, nachdem ich ihm den stets erstaunlichen G. vorgestellt hatte, einen Mann, den kennen sollte, wer in London wohnt. Wir standen zu dritt auf der großzügigen Veranda eines recht guten Pubs namens Camden Head im Stadtteil Islington herum. Nicht zu verwechseln mit dem Camden Head im Stadtteil Camden, das eher laut ist und über keinerlei Veranda verfügt.
Das Camden Head in Islington befindet sich bekanntlich unweit der U-Bahn-Station Angel. Rechts aus der Station raus, am The York vorbei, weiterhin halb rechts durch die einen Tick zu hübsche Camden Passage, das Restaurant mit dem zauberhaften Namen The Elk in the Woods links liegen lassen, schon steht man vorm Camden Head. Zunächst hatten wir über das Färben von etwas zu hellen Tweed-Anzügen gesprochen, und es spricht durchaus nicht gegen Großbritannien, dass das hierzulande unter Männern ein vollkommen normales Pub-Thema ist.
Nachdem wir das Thema Tweedfärben erschöpfend behandelt hatten, der Abend aber noch nicht die geringste Neigung zeigte, sich seinem Ende zu nähern, begann der Kollege, die Bratwurst-Geschichte zu erzählen. Als er einige Biere später fertig war, schwieg auch G. tief beeindruckt, was sehr, sehr selten passiert.
Wir tranken ein Weilchen vor uns hin, schließlich fragte G.: "Du hast also wirklich befürchtet, dass der radioaktive Fallout . . . nur Bratwürste . . . definitiv vor der Katastrophe eingeschweißt . . . Haare?" Der Kollege nickte und sagte: "Ist lange her." G. schaute ihn mit seinem besten G.-Blick an. Dann sagte er: "Aber hey, du kannst das tragen."