Little Britain:Gehacktes aller Art

Der Brite an sich stirbt früh, und das hat seine Gründe. Bis in die 90er bestand die Küche hauptsächlich aus gehacktem Fleisch aller Art. Nie gab es Gemüse dazu. Doch es hat sich einiges getan: mittlerweile gibt es in Großbritannien mehr Kochsendungen als Talkshows in der ARD.

Christian Zaschke

Als ich vor gut 15 Jahren nach meiner Ankunft in Großbritannien dem Acht-Quadratmeter-Zimmer eines fusselbärtigen Ostdeutschen entronnen war, der mir freundlicherweise in den ersten drei Nächten Unterschlupf gewährt hatte, zog ich um. Ich zog ins Acht-Quadratmeter-Zimmer von Brett Stephenson aus Seattle, der mir freundlicherweise Unterschlupf gewährte (er wohnte in derselben WG, die aus vier Acht-Quadratmeter-Zimmern und einer Küche bestand). Der Wohnungsmarkt war etwas angespannt.

BRITISCH, ABER GUT!

Für ausschließlich vegetarisches Kochen wäre man in England vor vor 15 Jahren im Garten verscharrt worden, meint unser Autor.

(Foto: obs)

Es gab nichts Bezahlbares außer fensterlosen Vier-Quadratmeter-Zimmern ohne Küchenmitbenutzung bei Ehepaaren, die nach der Morgenmolle das Mittagsschnäpschen einnahmen, nachdem sie grad offenbar irgendwas im Garten verscharrt hatten. "Brett, ist das wirklich okay für dich", fragte ich täglich und wöchentlich. "Schon okay", sagte Brett stets, wenn ich von der Wohnungssuche wiederkam und von der Keine-Fenster-Schnaps-Verscharr-Situation berichtete.

Ich kochte dafür hin und wieder was. Als ich einmal Hackfleisch für ein Chili gekauft hatte, nahm Brett die Packung, las, was draufstand, legte sie auf den Tisch und sagte: "Besteht aus Lippen und Rosetten." Es hat lange gedauert, bis ich wieder Hackfleisch aß. Ziemlich genau sechs Wochen. Dann zog ich in eine WG, in der ein Schotte fast jeden Tag etwas scharf Gewürztes kochte, das im Wesentlichen aus gehacktem Fleisch aller Art bestand. Nie gab es Gemüse dazu. Bis in die 90er galt: Der Brite an sich stirbt früh, und das hat seine Gründe.

Nach meiner Ankunft in diesem Jahr hatte ich zunächst den Eindruck, dass sich nichts verändert habe: Big Ben spielte seine Melodie, aus schwarzen Taxis stieg man erst aus und bezahlte dann durchs Fenster, Jeremy Paxman ranzte in der Hauptnachrichtensendung Politiker so schlecht gelaunt an, als habe ihm jemand in der BBC-Kantine die letzte Portion Lippen-und-Rosetten-Chili weggeschnappt.

Doch es hat sich einiges getan: Es gibt in Großbritannien mittlerweile mehr Kochsendungen als Talkshows in der ARD. Mein Lieblingskoch Hugh Fearnley-Wittingstall hat in seiner Serie in diesem Herbst etwas Ungeheuerliches getan: Er kochte ausschließlich vegetarisch. Dafür hätten ihn seine Vermieter vor 15 Jahren im Garten verscharrt, anschließend das Mittagsschnäpschen eingenommen, um dann die ersten Interessenten für das eben freigewordene Vier-Quadratmeter-Zimmer zu begutachten.

Zugegeben, es ist nicht einfacher geworden, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Und vielleicht habe ich mich noch mehr verändert als Großbritannien: In dieser Woche erstand ich das Kochbuch zur Serie. Der Verkäufer packte es ungefragt als Geschenk ein.

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