Lange war die Royal Festival Hall für ihre miserable Akustik berühmt. Sie steht plump ans Ufer der Themse gebaut und verdankt ihre Existenz allein der Tatsache, dass es die Queen's Hall nicht mehr gibt. Die Queen's Hall war der Konzertsaal mit der besten Akustik in ganz London. Seit 1895 wurden dort die Proms aufgeführt, die berühmten Sommerkonzerte, die heute in der Royal Albert Hall stattfinden.
Erster musikalischer Leiter der Proms war Henry Wood, der dafür sorgte, dass die Konzerte ungeheuer populär wurden. Bei den Proms gibt es keine Kleiderordnung, es geht sehr ungezwungen zu, obwohl klassische Musik gespielt wird. Früher wurde während der Konzerte geraucht, gegessen und getrunken.
Noch heute bringen sich Besucher Snacks und Getränke mit. Die Proms sind eine sehr britische und sehr hervorragende Angelegenheit. In der Queen's Hall mit ihrer unvergleichlichen Akustik müssen sie besonders viel Spaß gemacht haben: schmatzende Londoner unter einer Rauchglocke, umgeben von allerschönstem Klang.
Leider blieb von der Queen's Hall nach der Bombennacht vom 10. Mai 1941 nichts übrig. Die deutsche Luftwaffe flog einen Großangriff; das House of Commons, Westminster Abbey und das British Museum wurden schwer beschädigt. Eine Brandbombe zerstörte die Queen's Hall. Sämtliche Instrumente des London Philharmonic Orchestra verbrannten. Aus den Trümmern wurde nur eine Bronzestatue von Henry Wood geborgen.
1951 wurde als Ersatz die Royal Festival Hall eröffnet. Nachdem sich die Londoner ein gutes halbes Jahrhundert über deren schlechte Akustik hatten ärgern müssen, wurde das Gebäude aufwendig renoviert. Seit der Wiedereröffnung 2008 ist die Akustik ganz okay. Leider ist ganz oben im Konzertsaal, von der Bühne aus rechts, unter dem Dach irgendwas locker. Schwer zu sagen, was es ist, vielleicht ein dünnes Metallblech. Bei sehr tiefen Basstönen brummte es letzte Woche über meinem Sitz, als spiele dort jemand auf der Maultrommel.
Der ehemalige Platz der Queen's Hall ist längst wieder bebaut, mit einem Hotel. Aber es gibt immer noch Baulücken in der Stadt. Bei meinem ersten Besuch in London gehörte ich zu einer Reisegruppe pubertierender Kleinstädter aus Deutschland, was an sich schon traumatisierend war. Wir machten eine "Walking Tour". Als wir in der Innenstadt an einer Brachfläche vorbeitrotteten, fragte einer aus der Gruppe den englischen Stadtführer entrüstet, was denn da passiert sei: "What on earth happened there?", mit sehr deutschem Akzent. Der Stadtführer erstarrte. Dann ging er zum Glück einfach weiter und tat so, als sei die Akustik gerade nicht so gut.