Literaturzeitschrift "The Believer":Originelle Odyssee

Literaturzeitschrift "The Believer": Schöne Pointe: Bestsellerautor übernimmt die Zeitschrift von einer Firma, die Sexspielzeug vermarktet.

Schöne Pointe: Bestsellerautor übernimmt die Zeitschrift von einer Firma, die Sexspielzeug vermarktet.

(Foto: imago stock&people/ZUMA Press)

Der Bestsellerautor Dave Eggers hat die gefeierte Literaturzeitschrift "The Believer" zurückgekauft - von einer Firma, die Sexspielzeug vermarktet.

Von Miryam Schellbach

Im warmen Kalifornien, wo die Kunst bekanntlich besonders frei und ungehemmt sein soll, gibt es den Believer, eine alle zwei Monate erscheinende Literaturzeitschrift mit ungewöhnlichem Cover im Cartoon-Stil, das unbekannten und weltberühmten Autoren die Gelegenheit gibt, abseitige Formen auszuprobieren: Mäandernde Essays etwa von Zadie Smith oder Leslie Jamison, Nick Hornbys legendäre Kolumne "Stuff I've Been Reading" oder eben auch alle möglichen zeitgeistigen Kommentare, für die in der Tagespresse nicht genug Platz und Wagemut ist. Wo nun aber eigentlich Platz ist für eine berühmte Zeitschrift mit leeren Kassen aber voller literarischer Ambition, darüber wurde zuletzt heftig gestritten.

Zum Verständnis der erstaunlichen Meldung, die gerade in der New York Times zu lesen war, braucht es aber noch die Einführung weiterer Akteure der kalifornischen Highbrow- und Lowbrow-Kultur. Dazu gehört McSweeney's, der Verlag, den der weltberühmte Schriftsteller und Literaturmäzan Dave Eggers Ende der Neunziger gegründet hat. Und dazu gehört Paradise Media, eine sogenannte SEO-Firma, die Webseiten erwirbt, ihre Suchmaschinen-Verknüpfung optimiert, um dann Werbeplätze auf den Seiten zu verkaufen. Motto: "Keine Nische ist uns zu umkämpft".

Der Protest in den sozialen Medien gegen die überraschende Vermählung von Sexspielzeug und Literatur war heftig

Gegründet haben den Believer 2003 die Autoren Heidi Julavits, Vendela Vida - Eggers' Frau - und Ed Park. Dave Eggers bot der Zeitschrift, die bald als eine der interessantesten und originellsten Literaturzeitschriften der USA galt, eine Verlagsheimat. Von 2004 bis 2006 gab es mit Der Freund sogar eine - vom Springer-Verlag finanzierte - Believer-Kopie in Deutschland, erfunden und redigiert von Christian Kracht und Eckardt Nickel. 2015 wurde es wegen sinkender Abozahlen Eggers zu teuer.

Seither schlitterte die Zeitschrift von einer Krise in die nächste. 2017 kaufte das Black Mountain Institute der University of Nevada, Las Vegas den Believer, die Zahlen verbesserten sich allerdings nicht. Im Frühjahr 2021 verlor das Magazin schließlich seinen Chefredakteur Joshua Wolf Shenk. Er hatte es für eine gute Idee gehalten, während einer Zoom-Redaktionssitzung fröhlich in der Badewanne zu planschen. Weil dabei aber mehr als sein denkender Kopf aus der Wanne herausragte, musste er abtreten.

Wenige Monate später hieß der neue Eigentümer Paradise Media, weswegen auf der Website neben den Artikeln von Zadie Smith oder den Gedichten von Toni Morrison plötzlich Werbung für "Casual Dating"-Plattformen auftauchte. Zum Entsetzen von Lesern und Autorinnen frohlockte dann noch das "Sex-Toy-Collective", eine von Paradise Media betriebene Website, eine Art Stiftung Warentest für nichttoxisches, "sexpositives" Sexspielzeug auf Twitter: "Hi, wir sind der neue Besitzer des Believer!"

Der Believer hat laut New York Times wohl gerade einmal um die 6000 Abonnenten. Die Fankultur, die ihn umgibt, ist umso eindrucksvoller. Der Protest der vergangenen Wochen in den sozialen Medien gegen die überraschende Vermählung von Sexspielzeug und Literatur und das undiplomatische Besitzgehabe des Konzerns war so groß, dass Paradise Media zeitweise seine Website abschaltete - und in einem Freitagabend-Deal den Believer schließlich wieder an das Verlagshaus zurückgab, wo die Reise angefangen hatte. Seit Ende der vergangenen Woche gehört Believer wieder zu McSweeney's.

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