Süddeutsche Zeitung

Literaturübersetzungen:Die Kunst des Dienens

Sind Übersetzer Literaten oder doch "nur" Dienstleister? Anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens des deutschen Übersetzerfonds machen sich seine Mitglieder in Berlin Gedanken über ihre Arbeit.

Von Hans-Peter Kunisch

"Fame requires every kind of excess" - Ruhm erfordert Exzesse jeglicher Art. Ein markanter erster Satz. Er eröffnet Don DeLillos dritten Roman "Great Jones Street" von 1973, der bis heute nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Seinen Auftakt zu übertragen, war die Wettbewerbsaufgabe zum zwanzigsten Geburtstag des Deutschen Übersetzerfonds, der das Jubiläum am vergangenen Wochenende im Berliner Literarischen Colloquium beging.

Sollen sich Übersetzer dem Original unterwerfen? Oder sind sie schon "darüber hinaus"?

Der Text, aus der Perspektive des Leadsängers einer Rockband erzählt, bei deren Konzert es Tote gibt, passte genau. Bisweilen schien es beim Symposium "Zaitenklänge", als wollten manche Übersetzer nach DeLillos Muster Ruhm um jeden Preis. Sie vollführten theoretische Bocksprünge, anstatt sich Gedanken über Texte und Arbeit zu machen, schienen sich ihrer wichtigsten, von Mendelssohn und Lessing entwickelten Grundlagen nicht mehr sicher. Geht es darum, "dem Original zu dienen"? Oder "sind wir", wie es kurioserweise mehrmals hieß, "darüber nicht hinaus"?

Doch was sollte eine Übersetzung sonst für Aufgaben haben, als das Original auf eine ihm entsprechende Weise in die andere Sprache zu bringen? Ähnlich wie das Pociao gelang, der in Bonn und Tanger lebenden Siegerin des DeLillo-Wettbewerbs, die mit sanfter Detailarbeit jede Nuance des nur an seiner Oberfläche geradlinig-einfachen Texts erspürte. Wäre es nicht auch ziemlich peinlich, das zu übersetzende Werk als Steigbügelhalter eigener literarischer Versuche zu missbrauchen? Auch wenn sich einige Anwesende über den "moralisierenden" Aspekt der Debatte amüsierten: Das Übersetzen bleibt eine "dienende Kunst". Was nicht heißt, dass sie sich verstecken müsste. Schriftsteller-Gastrednerin Felicitas Hoppe berichtete, wie gute Übersetzer halb durchdachte Sätze und Bilder mit ein paar simplen Fragen peinlich offenlegen können.

Das Wörtchen "dienen" macht einigen Übersetzern wohl auch nur deshalb Bauchweh, weil sie lange leiden mussten. Als hätte der Literaturbetrieb das Übersetzerideal der "Unsichtbarkeit", das nur meint, dass der Blick aufs Original nicht durch stilfremde Eitelkeiten verstellt werden sollte, etwas zu wörtlich genommen.

Es geht auch um Kulturvermittler: "Vom Winde verweht" war selbst in Nazideutschland ein Erfolg

Die Übersetzer, die fremdsprachige Autoren für den größten Teil der Leser ja überhaupt erst wahrnehmbar machen, wurden noch in jüngster Vergangenheit selbst in den von ihnen übertragenen Werken kaum erwähnt. Auch die Literaturkritik macht die Leistung der Übersetzer viel zu selten sichtbar. Honorarverhandlungen sind noch heute schwierig. Doch wenn die Verlage klagen, dass sie bei höherer Bezahlung keine Bücher mehr machen könnten, ist die Antwort eigentlich einfach: Ohne Autoren und ihre Übersetzer geht erst recht nichts.

Das wusste schon eine Frau wie die Wienerin Marie Franzos. Sie sagte den Verlagen, so Andreas Kelletat, der Mainzer Übersetzungsexperte und Interkulturalist: "Ich habe da eine Übersetzung von Selma Lagerlöf, 50:50, sonst kriegt ihr sie nicht." Kelletat ist der Herausgeber des Germersheimer Übersetzerlexikons Uelex.de, eines der sinnvollsten Versuche, zur Sichtbarkeit der sprachlichen Brückenbauer beizutragen.

Es betrachtet nämlich ihre individuellen Lebensgeschichten, die sich oft von selbst wie Schriftstellerexistenzen lesen. Andreas Tretner, Übersetzer aus dem Russischen, Bulgarischen und Tschechischen, erzählte von Hilde Angarowa, die er im Frühling 1989, als junger Lektor für Reclam Leipzig, in Moskau besuchte. Dort bekam er bei Tee und Kuchen von der alten Dame erklärt, dass er an ihren Übersetzungen kein Komma ändern dürfe. Wieder zu Hause, warf er diese aus dem vorgesehenen Erzählungsband. Jetzt sichtete Tretner einen Koffer aus Angarowas Nachlass, aus dem er von der wechselhaften Lebensgeschichte einer Dresdener jüdischen Bürgerstochter erfuhr, die einen russischen Parteifunktionär heiratete, der Stalin unterstützte, Hilde Angarowa verließ und in einem Lager umgebracht wurde. Vermutlich war es nur die Trennung, die Hilde Angarowa vor der Sippenhaft bewahrte.

Eine spannende Frage ist auch die nach den Übersetzern im Dritten Reich, obwohl NS-Literatur meist auf Deutsch entstand. Bei Büchern, die an der Nazi-Ideologie "mitschaffen" wollten, war das Lektorat streng. Literarische Übersetzungen, so Christian Adam ("Lesen unter Hitler"), wurden in der Regel laxer betrachtet. Viele Titel kamen aus dem nordischen Norwegen. Aber "Vom Winde verweht" war auch in Nazideutschland ein Erfolg. Erst nach Kriegsausbruch gab es nichts mehr aus den "Feindesländern". Und für einmal zahlte sich die üble "Unsichtbarkeit" aus: Seines Wissens, so Adam, sei kein Übersetzer für Einschleusungen unliebsamer Autoren ins Deutsche inhaftiert worden. Auch Übersetzer hatten Schwierigkeiten, wenn sie Kommunisten oder Juden waren. Wie Marie Franzos, die sich 1941 in Wien das Leben nahm, nachdem ihr die Ausreise in die Schweiz verweigert worden war.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3718997
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.10.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.