Literaturstreit:Borkenkäfer und Asseln

Dem russischen Pen-Club laufen scharenweise die Mitglieder davon, unter ihnen auch die Nobelpreisträgerin für Literatur, Swetlana Alexijewitsch. Seit Beginn des Ukraine-Konflikts ist der Schriftstellerverband zutiefest gespalten.

Von Tim Neshitov

Man muss leider feststellen: Das russische PEN-Zentrum ist eine Organisation, die man in der jetzigen Verfassung nicht mehr ernst nehmen kann. Zumindest dann nicht, wenn man den sogenannten PEN-Geist ernst nimmt, also die Werte, deretwegen diese Autorenvereinigung nach dem Ersten Weltkrieg in London gegründet wurde. Traditionell kämpfen die PEN-Verbände für Völkerverständigung, Meinungsfreiheit, für andere Menschenrechte. Der russische PEN kämpft jedoch seit ein paar Jahren vor allem um die eigene Glaubwürdigkeit.

Dem Verband laufen nun scharenweise Mitglieder davon, hier seien nur Namen erwähnt, die man außerhalb Russlands kennt: Ljudmlia Ulizkaja, Wladimir Sorokin und Swetlana Alexijewitsch. O-Ton Sorokin: "Unser PEN-Zentrum ist endgültig verfault. Nun herrschen dort Borkenkäfer und Asseln, und drinnen ist: Mulm."

Viele Schriftsteller unter einem Dach, das klingt eh nie nach Harmonie, Literatur ist nicht Synchronschwimmen - aber warum ist es in Russland so weit gekommen? Teilweise wegen der großen Politik, also wegen der Annexion der Krim, die die ganze russische Gesellschaft gespalten hat, und wegen Wladimir Putins Neigung, Kritiker als "fünfte Kolonne" beziehungsweise als "Nationalverräter" zu bezeichnen. Letzteres kann für einen Schriftstellerverband kritisch werden, wenn viele der besagten Nationalverräter gleichzeitig Mitglied im Verband sind. Als im Zentrum Moskaus, am Nowij Arbat, anprangernde Plakate mit Verräternamen hingen - darunter die der PEN-Mitglieder Ljudmila Ulizkaja, Sergej Parchomenko, Wiktor Schenderowitsch - tat das russische PEN so, als wäre alles in Ordnung. Es schwieg.

Fordert der Verband zu viel von Putin, ist seine Existenz in Gefahr

Teilweise aber geht es hier um persönliche Fehden. Vor allem um die zwischen Ljudmila Ulizkaja und dem in Deutschland kaum bekannten, aber in Russland nicht weniger gelesenen Schriftsteller Andrej Bitow. Bitow wird bald 80, von 1991 bis vor wenigen Wochen war er Präsident des russischen PEN, und in dieser Zeit war ihm die Aura einer grantig-moralisierenden literarischen Langzeitautorität à la Günter Grass zugewachsen. Beim PEN schwebte Bitow über den Dingen, in den Betrieb griff er kaum noch ein, das überließ er lieber dem Vorstand. Als aber Ljudmila Ulizkaja zur Vizepräsidentin gewählt und auf ihre Art aktiv wurde, krachte es zwischen den beiden, und seitdem kommt der russische PEN nicht mehr zur Ruhe.

Ulizkaja stieß in einer Zeit dazu, als der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskalierte. Sie verdammte die Annexion der Krim. Sie nahm viele schreibende Mitstreiter in den PEN-Club auf. Alles ohne sein Wissen, behauptete Bitow später, er habe auf seinen Urenkel aufgepasst, auf der Datscha, fern vom Internet ... Bitow kam von seiner Datscha zurück und hackte einen giftigen öffentlichen Brief in die Tasten: Ulizkaja hätte den russischen PEN "gehijackt." Ulizkaja verabschiedete sich. Ihr sind seitdem Dutzende gefolgt.

Man kann nicht behaupten, die verbleibenden PEN-Mitglieder seien lauter Stiefellecker von Putins Gnaden. Andrej Bitow ist dies definitiv nicht. Seine Sorge (und die seines Nachfolgers an der Verbandsspitze, Jewgenij Popow) ist vielmehr: Fordert das PEN-Zentrum zu viel von Putin, geht es dabei allzu offensiv vor, wie Ljudmila Ulizkaja es getan habe, riskiert es, geschlossen zu werden. Also: Menschenrechte, ja, aber bitte vorsichtig, diplomatisch. Skurril wird es dann, wenn die Mitgliederlisten beim PEN manipuliert werden, so dass die Nobelpreisträgerin und prominente Putin-Kritikerin Swetlana Alexijewitsch einfach wegradiert wird. Da kann man den Laden nicht mehr ernst nehmen. PEN International schweigt übrigens bis jetzt. Was soll man da auch sagen?

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