Literaturpreis:Merzschmerz

Literaturpreis: Der Schweizer Dichter Klaus Merz erhält den mit 30 000 Euro dotierten Rainer-Malkowski-Preis.

Der Schweizer Dichter Klaus Merz erhält den mit 30 000 Euro dotierten Rainer-Malkowski-Preis.

(Foto: David Zehnder)

Verleihung des Rainer-Malkowski-Preises

Von Stefan Sommer

Aus seinem Haus in Halbhöhenlage im Schweizer Wynental sendet er seit Jahrzehnten kurze Textnachrichten in die Welt - schon lange bevor jemand die SMS oder Twitter erfand. Die minimalistischen Gedichte, Essays und Erzählungen des Lyrikers und Romanciers Klaus Merz sind verdichtete, schnappschusshafte Momentaufnahmen. Wie Blitze in der Nacht leuchten seine Texte die Welt für eine gleißende Sekunde aus, um sofort wieder zu erlöschen. In der Residenz bekommt der Autor für sein Werk den mit 30 000 Euro dotierten, renommierten Rainer-Malkowski-Preis verliehen.

Mit seinem bisher erfolgreichsten Buch "Jakob schläft" schafft Klaus Merz 1997 den Durchbruch in der deutschsprachigen Literaturszene. Darin verarbeitet er seine Jugend und das Aufwachsen in den Fünfzigerjahren. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs, am 3. Oktober 1945 im Kanton Aargau geboren, erlebt er nämlich etwas, was man getrost als "schwere Kindheit" beschreiben könnte: Ein Bruder stirbt bei der Geburt, ein Bruder wird mit einer schweren Behinderung geboren, die Mutter hat Depressionen, der Vater ist Epileptiker - beide Elternteile sterben früh. Markant sind bereits seine kurzen, eindringlichen Bilder und Beschreibungen. Es gelingt ihm mit wenigen Worten eine lebendige Figur mit Geschichte, Kanten und Konturen entstehen zu lassen. Gerade im Falle seines ebenfalls früh verstorbenen Onkels: "Er hatte Hüte getragen, mit neun Fingern Harmonium gespielt, Gedichte aufgesagt und immer Kopfweh gehabt. Er konnte zaubern, schwere Motorräder fahren. Und fliegen. Wir rissen das Kalenderblatt mit seinem Todestag nie mehr ab."

Der neue Gedichtband "Helios Transport" führt seine Arbeit weiter und zeigt Merz erneut als Meister der Klarheit und Präzision. In "Alles" erzählt er von einer der größten menschlichen Erfahrungen, einer poetischen Nachricht aus vielen Lichtjahren Entfernung - in 13 Zeilen, ohne unterkomplex oder manieristisch zu wirken: "Aus der Tiefe des Alls, trägt uns Hubble, seine Bilder herauf. Gestirne, Galaxien, leuchtender Staub:, Immenser Widerschein, all unserer, Menschenwelten - der leuchtenden und der erloschenen, der entschlafenen, und der erwachenden, Stirnchen." Die Jury des Rainer-Malkowski-Preises ist in ihrer Begründung dann auch deutlich: "In seinen minimalistischen Gedichten gelingt es ihm, mit einem Augenaufschlag die ganze Welt zu umfassen."

Mit der israelischen Übersetzerin und Literaturwissenschaftlerin Efrat Gal-Ed, die in diesem Jahr das Stipendium über 10 000 Euro verliehen bekommt - sie übersetzte das Werk des jiddischen Dichters Itzik Manger - und Klaus Merz hat die Jury um Michael Krüger, Peter Hamm und Holger Pils zwei Autoren ausgezeichnet, die Literatur politisieren. Die Rede des Schweizers auf der Frankfurter Buchmesse aus dem vergangenen Jahr fasst sein literarisches Bestreben zusammen: "Alfabetizacion ist und bleibt Liberation."

Preisverleihung Rainer-Malkowski-Preis 2016 an Klaus Merz, Montag, 24. Oktober, 19 Uhr, Akademie in der Residenz, Residenzstraße 1

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