Literaturnobelpreis:Warum Dylan bei seiner Nobelpreisrede singen müsste

Bob Dylan wins 2016 Nobel Prize in Literature

Bob Dylans Lyrics sind in immer neuen Editionen zu Büchern geworden, aber seine Autorschaft ist die des Singer-Songwriters geblieben.

(Foto: dpa)

Kaum ein Popmusiker hat mehr Literatur in sich aufgesogen als Bob Dylan. Und doch wäre es ein Missverständnis, den Writer isoliert vom Singer-Songwriter zu betrachten.

Von Lothar Müller

Bob Dylan hat große Teile seines schriftlichen Vorlasses und viele Dokumente an das Archiv der University of Tulsa, in ein Literaturarchiv gegeben. Nicht das schwedische Nobel-Komitee, das ihm nun den Nobelpreis für Literatur zuerkannt hat, sondern er selbst hat sich als Poet erfunden. Er ließ Ezra Pound und T. S. Eliot in "Desolation Row" auftreten, antwortete in "When the Ship comes in" auf die Seeräuber-Jenny von Bertolt Brecht und machte ihm im Englischen in der Disziplin "Stimmenimitation der Bibel, vorzüglich des Alten Testaments" Konkurrenz. Ganz zu schweigen von den offenkundigen und untergründigen Anleihen bei Shakespeare.

Wie bei den alten Griechen

Kurz, es dürfte kaum einen Singer-Songwriter geben, der mehr Literatur in sich aufgesogen hat als Bob Dylan. Sehr schnell war Sara Danius, die Sprecherin der Jury, denn auch bei den alten Griechen, als sie leicht verwundert gefragt wurde, wieso denn der Musiker Bob Dylan den Literaturnobelpreis erhalte. Homers Epen, sagte sie, und die Lyrik der Sappho seien für den Vortrag geschrieben, durchaus auch mit Instrumenten, und sie seien zugleich Literatur. In dieser Tradition stehe Bob Dylan, und zudem sei er ein "great Poet in the english tradition".

Das klingt gut, denn ist nicht in der Tat die Lyrik erst in der Moderne eine Schriftkunst geworden, die in ihren Versmaßen und Reimen nur noch auf dem Papier an die Rhapsoden und den Tanz erinnert, mit denen sie in den alten Zeiten verbunden war? War nicht die Muse, die am Beginn der Epen Homers angerufen wurde, mit der Mündlichkeit im Bunde? Und lässt sich nicht der Singer-Songwriter und Performer Bob Dylan in der Langzeitperspektive als ein moderner Wiedergänger des Orpheus begreifen, der die Lyra durch die elektrische Gitarre ersetzt hat?

Texte zur Musik und an die Musik gebunden

Ja, das klingt gut. Aber es überspringt eine Unterscheidung, die im angelsächsischen Raum parallel zum Aufstieg der Rock- und Popmusik und ihrer Singer-Songwriter entstand: die zwischen lyrics und poetry. Das war kein pedantisches Schubladendenken und auch nicht die Herstellung einer Hierarchie, in der die Dichtkunst über den Texten auf Schallplattenhüllen stand. Die Unterscheidung sagt nur: Poetry steht für sich, als Wortmusik, die auch dann, wie Allen Ginsbergs "Howl" mit der Schrift und dem Buch verschwistert ist, wenn der Autor mit ihr eine Performance gibt. Lyrics sind Texte zur Musik, sie bleiben auch dann an die Musik gebunden, wenn sie, wie Bob Dylans "Desolation Row", auf Plattenhüllen oder in Büchern gelesen werden.

Kurz, man kann nicht den "Writer" aus dem "Singer-Songwriter" herauslösen und isoliert auszeichnen. Dylan ist weder für Lesungen seiner Texte berühmt noch für den Roman, den er geschrieben hat, und seine autobiografischen "Chronicles" hat die Nobelpreisjury nicht ins Zentrum ihrer Begründung gerückt. Seine Lyrics sind in immer neuen Editionen zu Büchern geworden, aber seine Autorschaft ist die des Singer-Songwriters geblieben. Er hat, anders als die deutschen Balladendichter des 19. Jahrhunderts, nicht Balladen geschrieben, die dann vertont wurden. Er hat sie für sich und seine Musik geschrieben.

Die schwedische Akademie ist auf der Höhe der Zeit

Die Lektüre seiner "Chronicles" ist übrigens nicht zuletzt wegen der Passagen lohnend, in denen er sich - auch wenn es erfunden ist, ist es gut erfunden - in der New Yorker Public Library in die Zeitungen aus den Jahren des Bürgerkriegs vergräbt, um in seinem amerikanischen Songbook keinen Ton auszulassen. Aus diesem Vergraben ging später "'Cross the Green Mountain" hervor, der Song zu einer TV-Serie über den Bürgerkrieg. Und "Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again" lebt nicht nur von der Begegnung Shakespeares mit einem französischen Mädchen, sondern auch davon, dass der Singer-Songwriter sein Ohr für Idioms und den Slang geschärft hatte.

Eine veritable Dylan-Philologie

Es konnte nicht ausbleiben, dass aus den Dechiffriersyndikaten, die sich früh nicht nur über seine kryptischen Texte beugten, eine veritable Dylan-Philologie hervorging. Sie hat seinen Lyrics noch die verborgenste Anspielung auf Ovid oder die metaphysical poets im England des 17. Jahrhunderts abgelauscht und dabei seine Lyrics in die Poetry verwandelt, die nun die Schwedische Akademie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet hat.

Indem die Akademie an die Literarisierung und Philologisierung Bob Dylans anknüpft, ist sie auf der Höhe der Zeit. Und vermutlich ist in diese Entscheidung auch das Motiv eingeflossen, einen ganzen Textkontinent zu würdigen, für den Bob Dylan als Repräsentant taugt.

Es ist die Region, in der "Sad Eyed Lady of the Lowlands" an "Yesterday" von den Beatles grenzt und Dylan auf der "Penny Lane" zu Gast ist, an das große angelsächsische Songtext-Buch überhaupt. Unter diesen Nachbarn, ob Beatles, Kinks, Van Morrison oder Neil Young, sah Bob Dylan immer schon sehr alt aus. Er hat es von Beginn an verstanden, seine Lyrics in den Echoraum der Poetry zu stellen, ob er "All along the Watchtower" , den "Subterranean Homesick Blues" oder "Tangled up in Blue" sang, oder später den "Workingman Blues" und seine Mysterienspiele in den Regionen von "Ain't talking".

Dylan kann bei der Preisverleihung nur als "Singer-Songwriter" auftreten

Das galt auch für eine der Hauptquellen, die dieser Singer-Songwriter mit vielen seiner weißen Kollegen teilte, den Rückgriff auf den schwarzen Blues, über dessen Legitimität gerade aus Anlass des neuen Albums der Rolling Stones debattiert wird. Diese Reprisen, diese immer neuen Rückkehrbewegungen, betreibt Bob Dylan schon seit Langem. Sie waren immer auch Sprachbewegungen. Dylans "Blind Willie McTell" ist nicht nur eine Hommage an ein bewundertes Idol, der Song ist auch ein Akt der Einschmelzung des schwarzen Blues-Sängers in die eigene Aura eines Sängers, der den Weg "all the way from New Orleans to Jerusalem " neu beschreitet.

Bob Dylan kann, wenn er im Dezember zur Preisverleihung nach Stockholm kommt, dort nur als "Singer-Songwriter" auftreten. Nicht aber als Kollege von Autoren wie Joseph Brodsky, Seamus Heaney oder Derek Walcott. Er kann nicht aus seinen gesammelten Gedichten lesen. Natürlich kann er ans Pult treten und eine Nobelpreisrede halten. Aber seine Reden sind häufig schon missglückt. Er kann also nur ans Pult treten und singen. Mit seiner Lyra, der elektrischen Gitarre. Und der Mundharmonika.

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