Süddeutsche Zeitung

Literaturnobelpreis:Krise, öffentlich

Kurz vor Weihnachten tagt die von Skandalen erschütterte Schwedische Akademie traditionell vor Publikum. Diesmal erlebte man dabei ein Desaster.

Von Thomas Steinfeld

Einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten, tagt die Schwedische Akademie öffentlich, in Gegenwart der königlichen Familie und der höchsten Würdenträger. Der Ständige Sekretär liefert einen Rechenschaftsbericht über die Arbeit des vergangenen Jahres. Er tut es mit Stolz und Würde. Das Publikum applaudiert. Und bisher war es so, dass sich die neuen Mitglieder der Akademie mit einer Rede einführten, die jeweils den gestorbenen Mitgliedern gewidmet war, deren Platz sie einnahmen.

Diesmal war vieles anders. Es begann damit, dass nur die Hälfte der königlichen Familie erschien, nämlich der König und seine Frau sowie die Thronfolgerin und ihr Mann - also nur die, die von Amts wegen mit der Akademie beschäftigt sind. Es setzte sich damit fort, dass sich die königliche Familie nicht, wie üblich, beim Eintritt der Akademiemitglieder erhob. Sie war stehen geblieben, wodurch sie sich das Aufstehen ersparte. Mehrere Würdenträger blieben der Veranstaltung fern, darunter die Erzbischöfin von Uppsala und der Oberbefehlshaber der Schwedischen Armee.

Und am Ende waren es nur sieben Mitglieder der Akademie, die in den Saal einzogen. Es war nicht eine Frau darunter, weil das einzige noch zur Akademie gehörende weibliche Mitglied, die Lyrikerin Kristina Lugn, der Feier fernblieb - zu den Eigenheiten des Katastrophenjahres für die Akademie gehörte ja, dass die Mehrheit der Abtrünnigen, nämlich sechs Mitglieder, Frauen sind. Und schließlich konnten die drei neuen Mitglieder nicht über ihre Vorgänger sprechen, weil diese ja nicht gestorben, sondern im Zwist ausgeschieden waren.

Im Übrigen hatte das Jahr so schlecht aufgehört, wie es begonnen hatte: Jean-Claude Arnault, der einflussreiche Ehemann des Akademiemitglieds Katarina Frostenson, war wegen Vergewaltigung endgültig zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Ein von der Akademie in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten hielt fest, dass Frostenson ihrem Mann die Namen künftiger Nobelpreisträger verriet, worauf er mit diesem Geheimwissen hausieren ging - sie bestreitet den Verstoß gegen die Statuten, weshalb es zu einer Auseinandersetzung vor Gericht kommen könnte.

Ferner gibt es Kandidaten für eine Mitgliedschaft in der Akademie, die erklärten, nicht zur Verfügung zu stehen - was noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre - sowie Preisträger, die sich weigern, eine der kleineren Auszeichnungen anzunehmen. Der Literaturkritiker Horace Engdahl, der für einen großen Teil der Skandale verantwortlich gemacht wird, durfte Presseberichten zufolge seine geplante Rede bei der Jahresfeier nicht halten, auf Wunsch des Hofes.

Der Jurist Eric M. Runesson, neues Akademiemitglied, erklärte seinen Willen zu einem Aufbruch unter den Bedingungen von Legalität und Transparenz. Überhaupt war viel von Vertrauen die Rede. Zugleich wimmelte es von Kriegs-Metaphern: Gesprochen wurde von "Mannschaft", von "Feuerpause", von "rücksichtslosen Angriffen", die von "Feinden" der Akademie ausgingen. Am weitesten ging der amtierende Ständige Sekretär Anders Olsson. Er verglich die Akademie, wie sie von den Abtrünnigen zurückgelassen wurde, mit den "sieben Samurai" aus Akira Kurosawas gleichnamigem Film. Vergessen hatte er offenbar, dass von diesen sieben nur drei überleben.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2018
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