Literaturnobelpreis 2021:Krisenjahre einer Institution

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Je wichtiger ein Preis, umso mehr wird an den Entscheidungen der Jury herumgenörgelt: Preisträger 2019 Peter Handke (l.) und Anders Olsson, Vorsitzender des Schwedischen Komitees. (Foto: Anders Wiklund/AP)

Nach harten Streits wird am Donnerstag wieder der Literaturnobelpreis vergeben: Was war in den letzten Jahren los und was erwartet uns?

Von Miryam Schellbach

Gleich knallen wieder die Korken, wenn sich an diesem Donnerstag um 13 Uhr herausstellt, wer den Literaturnobelpreis bekommt. Noch am selben Tag werden Übersetzungslizenzen verkauft, Nachdrucke beauftragt und Würdigungen in die Tasten gehauen. Eine ganze Nobelpreis-Industrie geht in die nächste Runde.

Dabei kränkelt sie ein wenig, die wichtigste Auszeichnung eines lebenden Schriftstellers, die jedes Jahr von der Schwedischen Akademie in Stockholm vergeben wird. Arno Schmidt spottete zwar schon in den Fünfzigern, der Preis bringe ein "Stigma der Mittelmäßigkeit" mit sich, aber so richtig ging die Abwärtsspirale erst 2016 los. Als der Preis Bob Dylan, also keinem Schriftsteller, sondern einem Songwriter zugesprochen wurde, fürchtete man, ab jetzt gelte die feine Kunst der Poesie nicht mal mehr im nördlichen Zipfel Europas besonders viel. Von Grenzverschiebungen war die Rede, von einem erweiterten Literaturbegriff, vom Dolch im Rücken der wahren Literatur. So viel Einfluss spricht man diesem Preis zu, der von Alfred Nobel zu Beginn des 20. Jahrhunderts für ein "in idealer Weise herausragendes Werk" gestiftet wurde.

Zumindest ließ sich in der Causa Dylan noch über Literatur diskutieren. Dann kam 2018 das vielleicht dunkelste Jahr der Geschichte des Preises. Erst schien es sich um einen Fall von Korruption zu handeln, als herauskam, dass Jean-Claude Arnault, der Ehemann von Katarina Frostenson, ihrerseits damals Mitglied der Schwedischen Akademie, die Namen einiger Preisträger vor Bekanntgabe an die Presse durchgestochen hatte. Dann weitete sich der Verdacht aus. Arnault hatte mit Geldern der Akademie einen feucht-fröhlichen Literatursalon unterhalten und sich des sexuellen Missbrauchs strafbar gemacht. Es folgte ein Kahlschlag in der ehrwürdigen Institution, zehn der 18 auf Lebenszeit gewählten Akademie-Mitglieder traten zurück.

Womöglich ist politische Weitsicht nichts, was man von der Akademie erwarten kann

2019 und 2020 ging es weiter mit Auszeichnungen von Schriftstellern, die einige für absolute Fehlbesetzungen hielten. Je wichtiger ein Preis, umso mehr wird an den Entscheidungen der Leute herumgenörgelt, die ihn vergeben: Dieses Los trifft die Nobelpreis-Akademie besonders. Dass die Vergabe an Peter Handke in die Kritik genommen würde, und zwar nicht wegen seiner literarischen Meriten, sondern wegen seiner politischen Entgleisungen, war abzusehen. Als 2020 die amerikanische Lyrikerin Louise Glück ausgezeichnet wurde, die hierzulande kaum jemand kannte, hieß es wiederum, ihre Texte seien zu konventionell, zu unpolitisch. Zur Sprache kam zuletzt auch immer wieder, dass der Preis in über 100 Jahren erst 16 Mal an eine Frau und noch viel seltener an Autoren außerhalb des Westens ging.

Nach all dem könnte man meinen, dass das Nobelpreiskomitee auch in diesem Jahr die Kontroverse meidet. Glaubt man den Quoten der Wettbüros, so ist neben den Dauerbrennern Haruki Murakami und Margaret Atwood die aussichtsreichste Kandidatin eine Französin. Annie Ernaux, die Grande Dame des Generationenromans mit soziologischem Blick wurde hierzulande vor allem mit ihrem autobiografischen Roman "Die Jahre" bekannt. Aber auch der 1938 in Kenia geborene Ngũgĩ wa Thiong'o wird immer wieder ins Spiel gebracht. Seine Romane, die er auf Kikuyu schreibt, sind vielfach übersetzt, der Autor lehrt an amerikanischen Eliteuniversitäten und gilt auch wegen seiner antikolonialen Essays als der vielleicht politischste unter den Kandidaten.

Womöglich ist politische Weitsicht aber nichts, was man derzeit von der krisengebeutelten Akademie erwarten kann. Vielmehr weist sie derlei Ansinnen deutlich zurück: "Es geht uns einzig und allein um die literarische Qualität", hat Jurorin Ellen Mattson kürzlich in einem Interview gesagt.

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