Literaturnobelpreis 2019:Das sind die Favoriten für den Literaturnobelpreis

Neues Jahr, doppeltes Glück: Nach den Skandalen in der Schwedischen Akademie werden in diesem Jahr gleich zwei Literaturnobelpreise vergeben. Hier sind die Top Ten der Wettanbieter.

10 Bilder

Peter Nadas

Quelle: dpa

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Rang 10: Péter Nádas

Geboren 1942 in Budapest, Ungarn

Literatur als Grenzerfahrung: Der ungarische Schriftsteller und Fotograf Péter Nádas begibt sich in seinen herausfordenden Texten auf die Suche nach der eigenen Familiengeschichte und den politischen Abgründen seiner Heimat. Nádas ist 1942 in Budapest geboren, erlebte also den Aufbau des sozialistischen Staates und den Aufstand 1956. Sein Debüt "Ende eines Familienromans" fiel bis 1977 jahrelang der Zensur zum Opfer. Nádas galt dem System als unerwünscht.

Zahlreiche internationale Preise, darunter den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, erhielt später sein Roman "Buch der Erinnerung" (1991). Zuletzt erschienen das 1728-seitige Monumentalwerk "Parallelgeschichten" (2012), an dem der Autor 18 Jahre lang schrieb, seine "Memoiren eines Erzählers: Aufleuchtende Details" (2017) und der umfangreiche Essay-Band "Leni weint" (2018), eine Reflektion der derzeitigen politischen Situation Ungarns. Nach Imre Kertész 2002 wäre Nádas erst der zweite Ungar, der die Auszeichnung erhält.

MARILYNNE ROBINSON

Quelle: ASSOCIATED PRESS

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Rang 9: Marilynne Robinson

Geboren 1943 in Standpoint, USA

In diesem Jahr stehen besonders viele Frauen auf der Liste der Wettanbieter. Eine von ihnen ist Marilynne Robinson, die in den USA längst als eine der großen Stimmen des Landes gilt, hierzulande aber noch relativ unbekannt ist. Für ihre Romane "Housekeeping" (1980), "Gilead" (2004), "Home" (2008) und ''Lila'' (2014) wurde die US-amerikanische Autorin mit etlichen Preisen ausgezeichnet - für "Gilead", eine zeitlose Geschichte über Glaube, Liebe und Heimat, sogar mit dem Pulitzerpreis. Der damalige Präsident Barack Obama outete sich daraufhin öffentlich als glühender Fan der Autorin.

Robinson war Gastprofessorin an diversen amerikanischen Universitäten, unterrichtete für den Iowa Writers' Workshop und schrieb Essays für bekannte Magazine wie Harper's, The Paris Review und The New York Times Book Review.

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Quelle: AP

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Rang 8: Laszlo Krasznahorkai

Geboren 1954 in Gyula, Ungarn

Passt in die Zeit: Der ungarische Schriftsteller Laszlo Krasznahorkai hat einen Hang zur Apokalyspe. In seinem preisgekrönten Roman "Melancholie des Widerstands" (1989) erschuf er eine Welt, die völlig aus den Fugen geraten ist. Und auch sein restliches Werk zeichnet sich durch skurillen Humor, obskure Objekte und apokalyptische Szenarien aus. In seinem neuesten Roman "Baron Wenckheims Rückkehr" (2018) erzählt er von einem greisen Baron, der noch einmal in seine ungarische Heimatstadt reist und eine Welt voller Verlierer vorfindet. "Weltliteratur" fanden die Kritiker, und eine Art Zusammenfassung alle seiner Romane: parabelhaft, düster und komisch.

Laszlo Krasznahorkai lebt als freier Autor in Berlin und ist Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Seine letzten Bücher waren Kurzgeschichtenbände mit Stoffen aus Japan und China, wo er längst kein Unbekannter mehr ist. 2015 erhielt er den internationalen Man-Booker-Preis für sein Gesamtwerk.

Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami 2016 in Odense

Quelle: AFP

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Rang 7: Haruki Murakami

Geboren 1949 in Kyoto, Japan

Haruki Murakami gehört zu den Langzeitkandidaten der Wettlisten zum Literaturnobelpreis. Sein Stil - oft surreal mit märchenhaften Elementen und zugleich vielen Bezügen zur internationalen Popkultur, besonders der Musik - hat weltweit Fans gefunden. Der Japaner, der zwischenzeitlich als Gastprofessor an US-Universitäten tätig war, hat sich außerdem mit zeitgeschichtlichen Momenten auseinandergesetzt. Etwa in dem Band "Untergrundkrieg", der Interviews mit Überlebenden und Opferangehörigen des Giftgasanschlags auf die Tokioter U-Bahn im Jahr 1995 enthält.

Im sich verschärfenden Konflikt zwischen China und Japan publizierte Murakami 2013 einen Appell in der japanischen Presse: Nationalismus sei "wie billiger Alkohol", er mache "betrunken und hysterisch" - man müsse vorsichtig sein mit Politikern und Polemikern, die "diesen billigen Alkohol einschenken und Randale schüren". Im Interview mit dem SZ-Magazin 2010 erklärte Murakami, letztendlich gehe es ihm darum, "jungen Menschen zu zeigen, was Idealismus bedeutet".

Der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong 2017 in Barcelona

Quelle: Alejandro Garcia/imago

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Rang 6: Ngũgĩ wa Thiong'o

Geboren 1938 in Kamiriithu, Kenia

Ewiger Favorit: Der Kenianer, der bereits zum vierten Mal in Folge als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt wird, lebt und arbeitet im Spannungsfeld zwischen Englisch (dem Vermächtnis der einstigen britischen Kolonialherren) und Kikuyu - der Sprache von etwa acht Millionen Menschen, der größten ethnischen Gruppe Kenias. Bis heute ist Ngũgĩ wa Thiong'o, 81, tief geprägt vom Kampf um die Entkolonialisierung seiner Heimat in den 1950er und 60er Jahren, in den auch seine Familie verwickelt war. Weshalb er in den 1970ern beschloss, nicht mehr auf Englisch zu schreiben, denn: "Sprache war das Mittel der geistigen Unterjochung."

Diese radikale Entscheidung und das Stück "Ich werde dich heiraten, wann ich will" (1977) brachten den Autor in Konflikt mit der damaligen Kenyatta-Regierung und zeitweilig ins Gefängnis. Der Literaturwissenschaftler ging ins Exil und unterrichtete unter anderem in Yale, New York und Kalifornien. Seine Bücher, "Decolonizing the Mind", das autobiografische "Träume in Zeiten des Krieges - eine Kindheit" oder der 1000-Seiten-Roman "Herr der Krähen" über einen größenwahnsinnigen fiktiven Despoten kreisen um Vergangenheit und Gegenwart Afrikas.

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Quelle: AFP

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Rang 5: Ljudmila Ulitzkaja

Geboren 1943 in Dawlekanowo, Russland

Ljudmila Ulitzkaja gelingt es, die großen historischen Wendepunkte in der jüngeren Geschichte Russlands anhand sehr persönlicher Schicksale zu erzählen. Themen wie den stalinistischen Terror, die Dissidentenbewegung in der Sowjetunion und den Untergang letzterer verpackt die 1943 geborene Ulitzkaja in komplexe, aber dennoch leicht zu lesende Alltagsbeobachtungen und Lebensläufe. Ulitzkaja arbeitete zunächst als Genetikerin, bis sie 1969 wegen illegaler Verbreitung von verbotener Literatur entlassen wurde. 1992 erschien in einer Moskauer Literaturzeitschrift ihre Novelle "Sonetschka", die schon kurz darauf weltweit verlegt wurde.

Heute gilt Ulitzkaja mit Romane wie "Das grüne Zelt", "Daniel Stein" oder ihrer autobiografisch angehauchten Textsammlung "Die Kehrseite des Himmels" als eine der einflussreichsten Schriftstellerinnen Russlands - und zugleich als scharfe Kritikerin der russischen Politik: "Ich schäme mich für mein ungebildetes und aggressives Parlament, für meine aggressive und inkompetente Regierung, für die Staatsmänner an der Spitze, Möchtegern-Supermänner und Anhänger von Gewalt und Arglist, ich schäme mich für uns alle, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat", schrieb sie 2014.

Olga Tokarczuk

Quelle: picture alliance / dpa

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Rang 4: Olga Tokarczuk

Geboren 1962 in Sulechow, Polen

Olga Tokarczuks vom Psychoanalytiker Carl Gustav Jung inspirierte und oft ins metaphysische abgleitende Literatur ist in Deutschland noch eher ein Geheimtipp. Ihren ersten Roman "Die Reise der Buchmenschen" veröffentlichte die Polin 1993, ihr bekanntester ist wohl "Ur und andere Zeiten" von 1996. Er handelt von einem fiktiven polnischen Dorf namens Ur, das von vier Erzengeln bewacht wird - während drumherum das 20. Jahrhundert mit seinen Kriegen wütet. Auch wenn die historischen Ereignisse nur am Rande anklingen, versucht Tokarczuk auf die aus ihnen hervorgehenden Erfahrungen wie die Entwurzelung, den Verlust von Identität und die Vergänglichkeit von Werteordnungen einzugehen.

Für ihren Roman "Unrast" gewann sie im vergangenen Jahr als erste polnische Autorin den internationalen Man-Booker-Preis.

Die Schriftstellerin Maryse Conde aus Guadalupe

Quelle: AFP

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Rang 3: Maryse Condé

Geboren 1937 in Pointe-à-Pitre, Guadeloupe

Die Erforschung der eigenen Wurzeln ist das literarische Hauptmotiv der 82-jährigen Schriftstellerin Maryse Condé. Behütet aufgewachsen auf Guadeloupe, ging die damals 16-Jährige 1953 zum Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften nach Paris und wurde dort zum ersten Mal in ihrem Leben mit Rassismus konfrontiert. Später verbrachte die Autorin zehn Jahre in Westafrika - auf der Suche nach ihren Vorfahren und in ständiger Konfrontation mit dem (Post)-Kolonialismus. Ihr zweibändiges Familien-Epos "Segu. Mauern aus Lehm" (1988) machte sie in den Achtzigerjahren international bekannt. In ihrer neuesten Familienbiografie "Victoire" (2018) erzählt sie vom Leben ihrer Großmutter und den ethnischen Konflikten auf Guadeloupe, die bis heute andauern.

Neben Romanen schrieb Condé Theaterstücke und Kinderbücher, arbeitete als Korrespondentin für die BBC und als Literaturdozentin an der Columbia University New York und an der Sorbonne in Paris. Nur ein kleiner Teil ihres Werk ist bisher auf Deutsch übersetzt. Condé wurde 2018 der Alternative Literaturnobelpreis verliehen - von einer Initative, die sich nach den Missbrauchsskandalen der Schwedischen Akademie gegründet hatte.

Schriftstellerin Margaret Atwood 2014 in Toronto

Quelle: imago/ZUMA Press

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Rang 2: Margaret Atwood

Geboren 1939 in Ottawa, Kanada

Margaret Atwood ist die erfolgreichste Autorin Kanadas und gehört nicht zum ersten Mal zum Favoritinnenkreis für den Nobelpreis. In ihren Büchern, die in mehr als 30 Sprachen erschienen sind, verarbeitet sie aktuelle gesellschaftspolitische Themen in Form von Science-Fiction-Erzählungen - und arbeitet sich so etwa an der gesellschaftlichen Stellung der Frau oder Umweltthemen ab.

Ihr dystopischer Roman "Der Report der Magd" ("The Handmaid's Tale") aus dem Jahr 1985 tauchte nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wieder auf den internationalen Bestsellerlisten auf und wurde daraufhin erfolgreich als Serie mit Starbesetzung verfilmt. Kurz gesagt: "The Handmaid's Tale" wurde Kult. Nach 34 Jahren erschien in diesem Jahr die Fortsetzung "Die Zeuginnen" (2019), die die Geschichte um das frauenfeindliche Regime zu Ende erzählt. Mit "Die Zeuginnen" steht Atwood auf der Shortlist für den diesjährigen Booker-Preis, 2017 wurde ihr der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen.

Schriftstellerin Anne Carson 2019 in New York

Quelle: AP

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Rang 1: Anne Carson

Geboren 1950 in Toronto, Kanada

Wenn es nach dem britischen Wettanbieter "NicerOdds" geht, hat die kanadische Dichterin, Essayistin, Philologin und Übersetzerin Anne Carson in diesem Jahr die besten Chancen auf den Literaturnobelpreis. Carsons berufliche Beschäftigung - sie ist studierte Altphilologin und unterrichtet klassische griechische und römische Literatur - schlägt auch in ihren Büchern durch: In ihrem kürzlich erschienenen Versroman "Rot" überträgt sie die Geschichte von Geryon und Herakles in die heutige Zeit.

Die Parallelität von Antike und Gegenwart durchzieht ihr umfangreiches Werk, ihr Stil changiert zwischen Prosa und Lyrik. Carson mag hierzulande wie ein Geheimtipp wirken, gehört in ihrer Heimat aber längst zu den bedeutendsten Dichterinnen der Gegenwart.

© SZ.de/nvo
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