Süddeutsche Zeitung

Literaturkritikerin Sigrid Löffler wird 70:Paroli im Quartett

Unbestechliche Anwältin der Literatur: Sigrid Löffler spricht direkt, aber nur im Notfall laut. Im "Literarischen Quartett" bot sie selbst Marcel Reich-Ranickis Paroli, stets sachlich und mit den besten Gründen. Nun wird die Journalistin und Kritikerin 70 Jahre alt.

Burkhard Müller

Vor Kontroversen ist die Literaturkritikerin Sigrid Löffler nie zurückgeschreckt. Im Jahr 2000 übernahm sie Literaturen, das Projekt einer neuartigen Literaturzeitschrift, die unter ihr eine ungewöhnlich breite Wirkung entfaltete; als sie jedoch Zugeständnisse machen sollte, die ihr als qualitätsgefährdend erschienen, trat sie zurück.

Löffler scheute sich nicht, Martin Mosebach einen "Reaktionär" zu nennen, als ihm 2007 der Georg-Büchner-Preis zuerkannt wurde, und hielt Peter Handke auch da noch die Treue, als er wegen seiner Haltung in den postjugoslawischen Kriegen allgemein angefeindet wurde. Dass einige der anderen Jury-Mitglieder beim Heinrich-Heine-Preis sich hinter vorgehaltener Hand abschätzig über den favorisierten Handke äußerten, nahm sie nicht hin und trat unter Protest von ihrem Jurorenamt zurück.

Ihren Einstand hatte Sigrid Löffler 1968 in der Wiener Presse gegeben, von 1972 bis 1993 arbeitete sie beim österreichischen Nachrichtenmagazin profil, zuletzt als stellvertretende Chefredakteurin. Aber dass sie, geboren am

26. Juni 1942 in Aussig, in Wien aufgewachsen ist (wo sie auch studierte), lässt sie sich so wenig wie möglich anmerken, denn vom gemütlichen österreichischen Schmäh und den vielen kleinen Bosheiten, die dazugehören, hält sie nichts.

Sie spricht direkt, aber laut nur dort, wo sie es für unumgänglich erachtet. Wenn sie etwa in einer Rede zum Kanon die Anmerkung macht, dass sich bei Günter Grass derzeit ein Prozess der "Entkanonisierung zu Lebzeiten" vollziehe, muss man schon zweimal hinhören, um zu begreifen, auf welch beiläufige Weise sie hier ein Urteil von unabsehbarer Reichweite gefällt hat.Stets sachlich und mit den besten Gründen.

Stets sachlich und mit den besten Gründen

Als Feuilletonchefin der Zeit in den neunziger Jahren, Mitarbeiterin vieler Zeitungen (auch der Süddeutschen) und als Jurorin bei etlichen Preisen hat sie großen Einfluss auf den deutschsprachigen Literaturbetrieb der letzten vier Jahrzehnte besessen und ihn unbestechlich ausgeübt.

Einem großen Publikum dürfte sie, obwohl das schon länger als eine Dekade zurückliegt, vor allem immer noch als Mitstreiterin im "Literarischen Quartett" präsent sein, wo sie der Autorität Marcel Reich-Ranickis Paroli bot und stets einschritt, wenn sie dessen Verdikt zu absolut oder zu willkürlich fand, stets sachlich und mit den besten Gründen.

Als dieser seine Weggefährtin nach zwölf gemeinsamen Jahren plötzlich persönlich anging, warf sie im Jahr 2000 den Krempel hin - und es erwies sich, dass diese erfolgreichste deutsche Literatursendung aller Zeiten ohne Frau Löffler nur bedingt lebensfähig war; eineinhalb Jahre später wurde das Quartett eingestellt - ein bis heute nicht gänzlich verwundener Verlust.

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SZ vom 26.06.2012/ihe
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