Weil das literarische Werk "etwas anderes ist als seine eigene Geschichte, als die Summe seiner Quellen, der Einflüsse oder seiner Vorbilder", schrieb Roland Barthes über Literatur und Geschichte, verfügen "wir nicht über eine Geschichte der Literatur, sondern nur über eine Geschichte der Literaten". An diesem klugen Gedanken möchte man lediglich das Wort "nur" relativieren, denn die Geschichte der Literaten hat natürlich ihren eigenen Wert und nicht selten führt sie direkt in das literarische Werk.
Ein digitales Forschungsprojekt der Princeton University gibt nun einen selten weltlichen Einblick in das Leben solcher Literaten wie James Joyce, Simone de Beauvoir, Ernest Hemingway und Gertrude Stein. Sie und Hunderte andere waren zwischen den beiden Weltkriegen Mitglieder der berühmten Pariser Buchhandlung Shakespeare and Company, die damals noch nicht wie heute am Ufer der Seine gegenüber von Notre-Dame lag, sondern ein paar Straßen weiter südlich, in der Rue de l'Odéon. Für Amerikaner und Briten, die sich das aufregende Paris dieser Zeit nicht entgehen lassen wollten, war die Buchhandlung eine der wenigen Möglichkeiten, an englischsprachige Bücher zu kommen.
Das Team aus Princeton um den Englisch-Professor Joshua Kotin hat nun die Karteikarten mit den Ausleih- und Kundendaten der Buchhandlung digitalisiert und in eine Datenbank eingespeist (https://shakespeareandco.princeton.edu/). Mehr Digitalisate und erklärende Essays sollen nach und nach dazukommen. Aus den Daten erfährt man nicht nur, dass Stein auch einmal ein Kochbuch ausgeliehen hat, oder dass Hemingway und Joyce mehrmals ihre eigenen Bücher kauften und liehen. Das Projekt liefert wichtige wissenschaftliche Anhaltspunkte für die Zirkulation von Büchern im Paris der Zwischenkriegszeit und die Interessen der großen Literaten. Vor allem aber lässt es eine Epoche und eine Stadt ungewohnt nah und lebendig werden, die ein ganzes kulturelles Jahrhundert prägte und durch den Krieg viel zu schnell Geschichte wurde.